Feen 2: Ankunft in Imanahm

Freitag, 15. August 2014, 11:53
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Der Einstieg in Feen 2:

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Imanahm war der Heimathafen aller seefahrenden Händler.

Dies entsprach natürlich nicht der Wahrheit und die Händler aus Maranal und Rakjahm hätten eine mit unschönen Worten gefüllte Antwort für jeden parat gehabt, der gewagt hätte, solche Worte aus seinem Mund quellen zu lassen. Die vereinte Flotte Imanahms und die Menge der Waren, die sie transportierte, überstieg jedoch um ein vielfaches alles, was die anderen Städte aufzubieten hatten, so dass die Imanahmer die Erwiderung ihrer Kollegen nur müde belächelt hätten, um später bei einem gemeinsamen Essen eine Strategie zu ersinnen, mit der man eine solch impertinente Person ruinieren konnte.

Der Handel und seine Akteure spielten jedoch für die Anführer der kleinen Gruppe, die am Nachmittag des 12. Oktobers die Stadt betrat, kaum eine Rolle. Nicht, dass jemand die Gruppe als solche in der Herbstkarawane hätte ausmachen können. Sie bewegten sich zwischen den vielen Karren und Wagen, Kutschen und Trägern, als wären sie Gesellen und Mitarbeiter der einzelnen Händler. Der große Chuor, dessen seine Geweihaxt unter den Waren eines der Händler versteckt lagen, dem er ihm geholfen hatte, seinen Karren aus dem Matsch zu ziehen, war wohl der einzige, der aus den vielen Menschen herausstach, aber auch nur so lange, bis sie die Stadtmauer hinter sich gelassen hatten. Imanahm unterhielt einen regen Handel mit den Chuor, die Flussaufwärts am südlichen Ufer des Großen Jahm lebten. Und die Wolfsmenschen besaßen als einzige Nichtmenschen ein Kontor in der Stadt. Man traf sie zwar nicht auf Schritt und Tritt, die Menschen hatten sich jedoch an sie gewöhnt und beachteten sie kaum.

Dass die einzelnen Menschen und der Chuor, die sich nach und nach unter Umarmungen, Schulterklopfen und Händeschütteln von der Karawane verabschiedeten, tatsächlich zusammengehörten, hätte ein uneingeweihter Beobachter frühestens feststellen können, als sie sich an den Werften trafen. Auf dem Weg mochten sich die einzelnen noch nach etwaigen Verfolgern umgesehen haben, Sobald sie sich jedoch wiedergetroffen hatten agierten sie sorglos.

„Ich weiß, dass ihr den Plan inzwischen auswendig und im Schlaf aufsagen könnt“, Shaljel, der leichtfüßigste unter den vier Menschen, lächelte sein verschmitztes Lächeln, „aber hat noch jemand eine Frage?“ Dabei blickte er seine beiden jüngeren Mitreisenden an, einen Mann und eine Frau, wettergegerbt, mit Tätowierungen im Gesicht, die sich auf der rechten Gesichtshälfte vom Haaransatz bis auf das Augenlid erstreckten. Neben dieser Markierung, die sich kaum verbergen ließ, war jedoch die Kleidung der vier Menschen, das, was sie an diesem Ort herausstechen ließ. Sie war schlicht und nach bestem Messen und Ermessen hässlich. Aber sie hielt wärmer, als alles, was diese Stadt zu bieten gehabt hätte. Wenn man die Gruppe so sah, hätte man kaum geglaubt, dass sie beabsichtigten, eine Flotte bauen zu lassen, die der der Händler an Größe nahe kam oder sie sogar übertreffen würde.

Shaljel zog aus seinem Umhängebeutel mehrere goldene Münzen hervor. Es waren alte Münzen, wie sie seit langem nicht mehr gebräuchlich waren, das Gold sprach jedoch eine alterslose Sprache. Woher er die Münzen hatte, konnte keiner seiner Gefährten sagen, Estron, der vierte Mensch, und der Chuor Streiter hätten einige Vermutungen anstellen können, denn Streiter war lange mit Shaljel gereist und Estron kannte zu viele der alten Geschichten, um nicht von den alten Reichen zu wissen, deren Tote mehr Schätze besaßen als die Lebenden, denen er begegnete. Estron, der Keinhäuser, dessen Lebensinhalt, wie er meinte, lange Zeit nur daraus bestanden hatte, zu reisen und zu beobachten, wäre früher niemals auf die Idee gekommen, ein Grab aufzubrechen und hätte es wohl aus Respekt vor den Angehörigen sogar verurteilt. Aber mit der Zeit war ihm bewusst geworden, dass für die Toten das Grab keine Bedeutung besaß. Deswegen vergeudete er jetzt keinen Gedanken mehr an den Ursprung des Geldes.

Die Münzen wechselten die Hand und verschwanden in den jeweiligen Beuteln. Nur Streiter ging leer aus, da ein Chuor, der bei Menschen ein Schiff in Auftrag gab, noch mehr Fragen aufgeworfen hätte, als einige abgerissene Wanderer mit alten Münzen. Die Chuor bauten ihre eigenen Boote und würden eine solche Aufgabe niemals den Menschen anvertrauen.

Als sich die fünf trennten, machte er sich stattdessen zu einem der Sägewerke auf, die im Nordosten der Stadt das Wasser des Ima ausnutzten, um ihre Sägen zu betreiben. Denn wer Schiffe baute, benötigte Holz. Die Stämme würden bald eintreffen aber zu Brettern mussten sie noch verarbeitet werden. Sie wussten, dass die Bretter, die sie auf diese Weise erhielten noch hätten trocknen müssen, aber die Zeit drängte und sie hofften, dass die Schiffe eine einzige Überfahrt überstehen würden, zumal sie göttlichen Schutz erhalten würden.

 

„Wie viele Schiffe könnt ihr bis zum Frühjahr fertigstellen?“

„Das hängt ganz von dem ab, was ihr haben wollt.“ Der Besitzer dieser kleinen Werft am äußersten Rand des Hafengeländes hatte Tro-ky zuerst nicht sprechen wollen. Er hatte sogar mit Prügeln gedroht, wenn der ungewaschene und tätowierte junge Mann das Gelände nicht verließe. Der Glanz der Münze, die Estrons Schüler ihm für einen kurzen Moment zeigte, hatte ihn jedoch umgestimmt.

„Ich benötige Schiffe, die viel Ladung tragen können. Sie müssen nicht schnell sein.“

„Ihr wollt Handel treiben?“

„Ja. Ich habe eine Quelle im Norden.“

„Wovon sprechen wir?“ Als Tro-ky nur mit einem misstrauischen Blick antwortete, fügte der Mann schnell hinzu: „Nur damit wir die richtigen Einbauten anlegen können.“

„Herden. Mehr kann ich nicht sagen.“

Der Werftbesitzer nahm sich eine Schiefertafel und kritzelte etwas darauf. Tro-ky hatte nie zu rechnen gelernt. Er konnte die alltäglichen Sachen zusammenzählen und abziehen, aber mit großen Zahlen wusste er nicht umzugehen, vor allen nicht schriftlich. Deswegen beobachtete er interessiert, wie der Schiffbauer fremde Zeichen auf seine Tafel schrieb, übertrug, wegwischte und neu schrieb.

„Wenn wir jetzt beginnen, dann könnten wir in drei Monaten das erste zu Wasser lassen. Dann kämen die aufbauten, Takelage und alles andere dran. Allerdings könnten wir an bis zu drei Schiffen mehr oder weniger gleichzeitig arbeiten, so dass wir dann fast jede Woche ein weiteres vom Stapel lassen.“ Er zeigte Tro-ky die Tafel, deren Existenz jener mit einem Nicken zur Kenntnis nahm, deren Inhalt sich ihm jedoch nicht erschloss.

„Das Problem ist nur, dass wir erst noch das Holz dafür besorgen müssten. Und natürlich alles andere auch.“

„Ich denke, ich kann euch beruhigen.“ Tro-ky versuchte ein freundliches Lächeln, was vielleicht nicht ganz erfolgreich war, denn der Werftbesitzer sah ihn irritiert an. „Die Chuor werden in den nächsten Tagen ausreichend Holz den Großen Jahm hinunterbringen.“

„Dann sind sie aber früh dran. Aber das wird nicht reichen.“

„Das wird es. Vertrauen sie mir.“

„Wenn ihr es sagt. Aber wie viele Schiffe wollt ihr, dass wir bauen?“

„So viele, wie ihr im nächsten halben Jahr bauen könnt.“ Der Mann begann wieder zu kritzeln.

„Zehn, wenn ihr euch um die Ressourcen kümmert.“

Tro-ky nickte.

„Und die Hälfte im Voraus.“

„Selbstverständlich. Nennt euren Preis.“

 

Zwei Stunden später trafen sich die fünf auf dem Marktplatz. Sie blickten sich an und lächelten, jeder auf seine Weise, mehr war nicht erforderlich. Ähnlich wie Tro-ky hatten auch seine Freundin Kam-ma wie auch Estron und Shaljel eine große Anzahl Schiffe in Auftrag gegeben. Auch Streiter kam vom Sägewerk mit guten Nachrichten zurück. Bisher schien alles wie geplant zu laufen, und für den Moment würden sie noch in Heimlichkeit verweilen.

Doch natürlich würden sich solch große Aufträge herumsprechen. Natürlich würden die einzelnen Werften voneinander erfahren und sich Gedanken über ihre Auftraggeber machen. Natürlich würden auch die Priester und wenig später die Drachen von diesen seltsamen Vorgängen Meldung erhalten. Spätestens dann würde es zu Nachforschungen, Verfolgungen und vermutlich auch Gewalt kommen. Als sie sich auf ihr Vorgehen geeinigt hatten, war ihnen bald klar geworden, dass ihre einzige Chance darin bestand, sich selbst und ihre Pläne möglichst lange vor ihren Feinden zu verbergen und so schnell wie möglich zu agieren, während sie gleichzeitig für eine Ablenkung sorgten, auf die sich die Priester konzentrieren konnten.

Die Zeit der Heimlichkeit würde bald vorbei sein. Ein Teil ihres Plans würde bekannt werden. Jetzt galt es, ein halbes Jahr durchzuhalten und alles das, was sie in den letzten Monaten in Bewegung gesetzt hatten, auch zu einem Ende zu bringen.

 

 


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