Feen 2: Pethen und Hylei in Imanahm

Sonntag, 24. August 2014, 21:21
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Hylei hatte sich schnell erholt, auch wenn die Hälfte ihres Gesicht immer noch blau und grün war. Als sie in Imanahm eintrafen, war es abgeschwollen und erregte kein Aufsehen. Sie wirkte nicht mehr entstellt, aber die Verfärbungen hatten zusammen mit der Farbe, die sie sich beide ins Gesicht geschmiert hatten, den überraschenden Effekt, dass ihre Schönheit vernebelt wurde.

„Jetzt sind wir am Meer.“

„Noch nicht.“

Pethen deutete auf die große, uferlose Wasserfläche, die sie vom Hafen aus sehen konnte.

„Wenn das nicht das Meer ist, dann weiß ich nicht, was es davon unterscheidet. Woher weißt du, dass es nicht das Meer ist?“

„Ein Freund hat es mir erzählt.“

Mehr würde er nicht aus ihr herausbekommen, denn so verliefen ihre Gespräche fast immer, wenn man sie denn Gespräche nennen wollte. Wenn sie auf dem Weg waren, konnte er gut damit leben, nicht sprechen zu müssen. Sie liefen schnell, sie liefen lange, vor allem, nachdem er ihre Verfolger jetzt stärker spürte. So vergingen die Tage meist ohne ein Wort, bis sie abends ihr Lager bereiteten. Manchmal hatte er das Gefühl, dass Hyleis Hände mehr sagte, als ihr Mund, denn die meisten Anweisungen auf dem Weg waren Gesten, die den Weg wiesen oder zur Vorsicht mahnten. Während sie mit den Pilgern gewandert waren, hatte ihr Tag mit einem Lager in einem Stall geendet. Nachdem sie wieder alleine gewesen waren, hatten sie wieder auf frostigem Böden abseits der Straße geschlafen. Und sie hatten ihr Training wieder aufgenommen, aber auch da waren die Gespräche auf das Nötigste beschränkt gewesen. Was bedeutete, dass Pethen ihr viel erklärte, wenn es um Magie ging, und sie ihm knappe Anweisungen gab, wenn sie ihm Kämpfen beizubringen versuchte. In der Stadt mussten sie selbstverständlich von ihrem Training absehen, obwohl es schien, dass sie für den Moment mehr Zeit dafür haben würden, als die letzten Wochen und Monate zusammen. Zumindest, bis sie entschieden hatten, wohin sie als nächstes fliehen sollten.

Während sie die Wellen betrachteten, die von dem kalten Wind ans Ufer getrieben wurden, grübelte Pethen über ihre nächsten Schritte nach. Sie brauchten eine Unterkunft. In der Stadt fielen sie zu sehr auf, wenn sie sich einfach in einer Sackgasse ein Lager bereiteten. Aber noch viel dringender benötigten sie Nahrung, was wiederum bedeutete, dass sie Geld besorgen mussten.

Pethen war kein Dieb. An dieser Überzeugung hielt er fest, obwohl sie unterwegs mehrfach sogar in Höfe eingebrochen waren, um sich das nötigste zu besorgen. Eigentlich respektierte er den Besitz anderer. Bei Hylei war er sich andererseits sicher, dass ihr der Besitz anderer gleichgültig war. Oder nein, es sollte wohl richtiger heißen: der Besitz der normalen Menschen. Pethen konnte sich nicht vorstellen, dass sie etwas von ihm oder irgendeinem Feenling stahl noch wusste er von irgendwelchen Diebstählen in der Magierzuflucht.

Trotzdem hoffte er, dass sie nicht an diesem Ort auf die Idee kommen würde, auf Diebestour gehen zu können. Es gab zu viele Menschen, die sie sehen oder aufhalten konnten und vor allem konnten sie nicht einfach in den Büschen untertauchen, um den Verfolgern zu entkommen.

So blieben ihnen nur zwei Möglichkeiten, an Geld zu kommen, Betteln oder eine Arbeit annehmen. Betteln verlangte, dass sie sich an eine Straße oder einen Platz setzten und sich allen offenbarten. Ganz davon abgesehen, dass er sich nicht sicher sein konnte, ob Betteln in dieser Stadt erlaubt war, war ihm nicht wohl dabei, sich jedem zu zeigen und er konnte sich nicht vorstellen, dass Hylei es wollen würde.

Aber welche Arbeit konnten sie schon annehmen. Er war der Sohn eines kleinen Pachtbauern und von Hylei wusste er nicht mehr, als dass sie sich gut im Wald auskannte und besser mit Magie umgehen konnte, als jeder andere Schüler der Zuflucht. Vielleicht konnten sie irgendwo im Hafen beim Beladen helfen oder irgendeine andere ungelernte Arbeit übernehmen. Aber vermutlich müsste er sich eine andere Arbeit als Hylei suchen, was ihm ganz und gar nicht gefiel. Er gab sich die Schuld daran, dass sie vor wenigen Tagen von einigen Pilgern gefangen genommen worden waren. Seitdem fühlte er sich für sie verantwortlich. Und wenn er sie aus den Augen verlor, konnte er sie noch weniger beschützen, als er es bisher getan hatte. Allerdings durfte sie niemals erfahren, dass er auf sie aufzupassen versuchte. Sie würde ihn vermutlich nicht nur mit ein paar knappen aber verletzenden Worten davon kommen lassen.

Es stellte sich nur die Frage, warum sie hier blieben, an einem Ort, an dem es nur so von Priestern wimmelte, wo sie den Pilgern so leicht erneut begegnen konnten, wo die Gefahr, dass jemand Hylei für das erkannte, was sie war, größer war, als an jedem anderen Ort. Man hatte sie auf dem Weg hierher in einer Scheune enttarnt. Einem Ort, den sie mit niemandem außer ein paar Ges geteilt hatten.

Und die Frage war leicht zu beantworten: Es wurde Winter. Es hieß, im Süden wäre es wärmer, bisher hatten sie jedoch nichts davon gespürt. Vielleicht wurde es besser, wenn sie noch weiter liefen. Allerdings hätten sie dafür ein Boot finden müssen, dass sie über den Großen Jahm oder seine gewaltige Mündung bringen würde. Dabei war es nicht einmal schwer ein solches Boot zu finden, wie sie bereits herausgefunden hatten. Nur bezahlen konnten sie es nicht.

„Was machen wir jetzt?“

„Wir verstecken uns.“

„Du weißt, dass wir uns Geld beschaffen müssen?“

Hylei nickte, sah aber immer noch weiter aufs Wasser hinaus. Der Angriff auf sie, die Schläge durch den Söldner, ihr entkommen, nur dank der Gnade derselben Söldner, hatten ihre Spuren bei ihr hinterlassen, mehr als nur die abheilenden Schwellungen, die vielleicht einige ihrer am wenigsten schmerzhaften Erinnerungen waren.

Sie versuchte nicht ihrem Weggefährten die Schuld für diese Schmerzen zu geben. Er war jung, unerfahren und, wenn es um etwas anderes als die Magie ging, ein Idiot. Seine Kampfübungen machten zwar Fortschritte, wenn er jedoch nicht auf seine Magie zurückgreifen konnte, war er nutzlos. Wenn Meister Zelon ihr nichts verheimlicht hatte, hatte er bisher noch niemanden getötet und Hylei glaubte nicht, dass er es konnte. Manchmal fragte sie sich, warum sie ihn überhaupt mitschleppte. Wenn er nicht immer noch mehr über Magie wissen würde als sie, sie hätte ihn bereits am Wegesrand liegenlassen.

Hylei gelang es ein weiteres Mal, wie auch schon die letzten Tage, nicht zu weinen.

 

Wie Pethen vermutet hatte, wollten die Meister im Hafen einer Frau keine Arbeit geben. Es hatte nur noch gefehlt, dass sie sie ausgelacht hätten. Er selbst hingegen wurde gerne beschäftigt, weil er billig war und die Arbeitskräfte knapp wurden. Jemand hatte anscheinend viel Geld auf den Tisch gelegt, um eine größere Zahl Schiffe bauen zu lassen, und in den Wintermonaten vermieden viele Männer die Knochenarbeit am Wasser, wenn sie es sich irgend leisten konnten.

Der Schiffbau sorgte am Ende auch für eine Anstellung für Hylei, die bei einem Seilmacher unterkam. Beides waren Arbeiten, die kaum das täglich Brot einbrachten, aber dafür sorgten, dass sie ein Dach über dem Kopf hatten, wobei der Feenling es besser getroffen hatte, da sie bei einem Meister im Haushalt unterkam und Pethen nur in einer Gemeinschaftsunterkunft in einer der Baracken. Er wollte es ihr aber nicht neiden, war er doch dankbar dafür, dass sie beide so über den Winter kommen würden. Nur fragte er sich, wie sie es schaffen würde, unentdeckt zu bleiben. Wie konnte sie über Monate verbergen, wie schön sie war, wenn sie beim letzten Mal schon nach einer Woche durchschaut worden waren?

Wichtiger für ihn war jedoch, wie er sie dazu bringen konnte, ihm wieder zu vertrauen?

 


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