Feen 2: alle (bis auf Ohnfeder) nähern sich einem Ort

Montag, 15. September 2014, 13:35
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Seine Unterkunft war weniger gemütlich als beim letzten Mal. Nachdem er sich unerwartet schnell aus dem Haus Upajano hatte verabschieden müssen, konnte er dort schlecht nach zwei Wochen plötzlich wieder auftauchen, zwei Wochen, in denen er tot in irgendeinen Bordstein hätte liegen können. Und wenn es nach der Dame des Hauses ging, wäre es vermutlich das, was sie sich für ihn wünschte. Die wenigsten Frauen konnten gut damit umgehen, mit einem Mann das Bett zu teilen, der sich anschließend heimlich davon stahl.

Deswegen hatte Enk sein Lager jetzt in dem Keller einer anderen Villa aufgeschlagen. Den Weg dorthin hatte er früh auf einem seiner ersten Aufträge in Imanahm gefunden. Er selbst war zu einem guten Teil dafür verantwortlich, dass das Haus über diesem Keller in einem so schlechten Zustand war. Vermutlich, wenn der Hausherr und seine Geliebte nicht einem überraschenden gemeinsamen Selbstmord zum Opfer gefallen wären. Der einzige Sohn lebte noch in den kalten Räumen über der Erde, ein alter Diener hielt, wenigstens in seinen eigenen Augen, den Schein aufrecht, dass es noch ein anständiges Haus war.

Die großen Vorteile dieses Verstecks waren, dass nicht nur der Eingang gut verborgen in einem Hinterhof lag, sondern die Hausbewohner ungewöhnlich abergläubisch waren. Jedes Geräusch, das er machen würde, würden sie den Hausgeistern zuschreiben.

Allerdings hielt er sich kaum in dem Keller auf, denn die Suche nach Estron nahm all die Zeit in Anspruch, die er nicht damit verbrachte, seine Bestände wieder aufzufüllen. Er hatte in letzter Zeit seine Truhe zu oft geplündert, ohne sie nachfüllen zu können. Und ohne die Verkleidungen, die er regelmäßig aus ihr hervorzog, war es denkbar schwer, unerkannt zu bleiben. Nicht, dass ihm gegenüber Estron eine Verkleidung helfen würde. Der Keinhäuser hatte ihn erkannt, Enk war sich ganz sicher. Es war nur ein kleines Aufflackern gewesen, dass er in den Augen des anderen hatte sehen können, als sich ihre Blicke für den Bruchteil eines Herzschlags trafen. Dann hatte Estron wieder auf die Straße geachtet und ihm, in seiner Bauernverkleidung keine weitere Beachtung geschenkt. Aber Enk wusste es. Und es bestand kein Zweifel, dass Estron auch wusste, dass Enk es wusste. Estron war schon immer unangenehm aufmerksam gewesen.

Er würde ihn also aus der Entfernung beobachten. Dazu musste er ihn allerdings erst einmal finden. Und das stellte sich als das erste Problem heraus: Enk konnte sich nicht einmal ganz sicher sein, dass sich der Gesuchte überhaupt noch in der Stadt befand. Vielleicht war er einfach nur hindurch gereist oder hatte die Stadt gleich links liegen lassen. Deswegen hatte er sich bereits einen der anderen Karawanenreisenden auserkoren, den er zum Reden bringen würde.

So begann sein Tag in der einfachsten Verkleidung, die er hatte finden können und endete mit drei Perücken, fünf Jacken, mehreren Paar Schuhen, verschiedenen anderen Utensilien und dem Wissen, dass Estron zumindest die Stadt betreten hatte. Fast alles hatte er gestohlen, manches von Marktständen, einiges direkt aus Häusern, ein paar Sachen aus den Taschen von Menschen, an denen er vorbeigekommen war. Es war riskant so viel an einem Tag zu stehlen, er hatte jedoch keine andere Wahl, wenn er die Spur nicht verlieren wollte. Und nach der Information hatte er nur zu fragen brauchen. Kleine, unauffällige Fragen, eine nach der anderen und zwei Ohren, die zwischen den Worten hörten. Ein paar klingende Münzen, investiert in etwas Essen und etwas mehr zu trinken, halfen natürlich dabei, die Zunge zu lockern.

Estron war in die Stadt gekommen und er war nicht allein. Nach allem, was Enk erfahren hatte, hatte er inzwischen Schüler, was zu dem passte, wie er sich Estrons weiteres Leben vorgestellt hatte. Ein Weiser Lehrer, eine Rolle, die ihm stand. Ein Chuor und ein weiterer Mensch vervollständigten anscheinend seine kleine Gruppe. Wer konnte ahnen, wo er die beiden aufgelesen hatte.

Enk hoffte, dass er in keinen Konflikt mit Estrons Gefolge geraten würde. Vor allem der Chuor konnte ihm Schwierigkeiten bereiten. Sie waren schnell und stark und ihre Nasen waren so gut, dass es schwer werden würde, sich ihnen unbemerkt zu nähern. Er hatte großen Respekt vor den Chuor. So kraftvoll und ausdauernd sie allerdings auch kämpfen mochten, im Prinzip stellte ihre primitive Art der Waffenführung und ihre oft allzu kraftvolle Kampfweise kein Problem für ihn dar. Er hatte schon mehrere von ihnen, einzeln oder auch in Gruppen, getötet, denn sie wurden gerne in den südlichen Städten als Wachen eingesetzt. Einige hatte er vergiftet oder aus dem Hinterhalt ermordet. Mit anderen hatte er sich im Kampf messen müssen. Es waren ungleiche Kämpfe gewesen. Nach den ersten Hieben waren sie ihm mehr oder weniger ins Schwert gelaufen. Nicht, dass er sich über leichte Siege beschweren wollte, dennoch empfand er es als Verschwendung, wenn er mutige und treue Wachen umbringen musste, aus keinem anderen Grund, um näher an sein Ziel zu kommen. Bei diesem Gedanken stutzte er. Er hatte gewiss doppelt so viele menschliche wie Chuor-Wachen getötet und empfand nur für die Wolfsmenschen dieses Bedauern.

Er atmete tief durch.

Einen der Schüler hatte er vermutlich mit Estron gesehen und er war wenig beeindruckt von ihm gewesen. Man sollte natürlich niemanden unterschätzen, sein Gefühl sagte ihm jedoch, dass sie kein Problem darstellen würden.

Blieb noch der andere Mensch, der mit Estron reiste. Er war ein Rätsel. Gegenüber den anderen Reisenden hatte er seinen Namen nicht genannt, dennoch war er sehr beliebt gewesen. Er hatte alle mit seinen phantastischen Geschichten unterhalten. Unmögliche Geschichten, die aber mit so viel Ernsthaftigkeit vorgetragen wurden, dass man sich von ihnen gefangen nehmen ließ, bevor er sie mit einem Scherz beendete oder ihren Sinn verkehrte. Er hatte die Reise für alle angenehmer gemacht.

Aber nicht nur durch seine Geschichten und seine Fröhlichkeit war er nahezu allen aufgefallen. Irgendetwas hatte er an sich gehabt, dass ihn immer anders erscheinen ließ. ‚Anders‘, so hatte sich der Mann ausgedrückt, hatte Enk aber nicht erklären können, was er damit meinte.

Enk lebte noch, weil er aufmerksam beobachtete und mit klaren Gedanken seinem Weg folgte. Dennoch war er nur in Imanahm, weil er einer Intuition gefolgt war. Er war Gerüchten über Estron gefolgt, obwohl er den Feen Shaljel suchte, weil er gespürt hatte, dass Estron mit ihm in Verbindung stand. Jetzt spürte er etwas ähnliches, was den fremden Mann anging. Seine klaren Gedanken warnten ihn jedoch davor, sich zu sehr auf sine Intuition zu verlassen, auch wenn er ihr soweit folgen wollte, dass er den Mann mit Vorsicht behandelte.

 

Der nächste Tag sah ihn auf einem Dach oberhalb des Marktplatzes liegen. Er hatte sich mehrere Decken mit heraufgenommen. Es war nicht seine Gewohnheit, sich mit solchen Dingen zu belasten, aber die Kälte wurde langsam unangenehm und ohne die Decken hätte er es vermutlich keinen Gongschlag durchgehalten. Der große Marktplatz war das Zentrum Imanahms und er ging davon aus, dass früher oder später jeder ihn aufsuchen würde. Estron kannte er, von dessen Freunden hatte er Beschreibungen, auch wenn sie recht vage waren. Aber die Tätowierungen seiner Schüler sollten auffällig genug sein. Diesen Tag würde er warten und beobachten. Wenn sich nichts ergab würde er morgen weitere Erkundigungen einholen. Vielleicht verlor er auf diese Weise die Spur, vielleicht entkam ihm Estron auf auch, weil Enk es einen Tag ruhig angehen ließ, vielleicht war es nicht klug, so vorzugehen. Aber heute würde er beobachten und sehen, wer sich sonst noch in der Stadt aufhielt.


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