Feen 2: Owithir kriegt eine Beförderung

Freitag, 19. September 2014, 17:19
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Reigerin starrte auf das Tor, durch das sie reiten mussten, um in die Stadt zu gelangen. Sie hatte den Rauch, der aus den vielen Schornsteinen stieg, schon seit dem Mittag gerochen und schließlich auch am Horizont gesehen, lange Zeit bevor die ersten Häuser erkennbar wurden. Sie hatte Wohlerwürden gefragt, warum sie auf das Feuer zureiten würden, hatte zuerst aber nur ein Lachen der Wachen geerntet, bis Owithir sie aufgeklärt hatte. Seitdem hatte sie sich gewundert, was sie wohl zu sehen bekommen würde, sobald sie die Stadt erreichten.

Gleichgültig, was sie erwartet haben mochte, es war nicht das, was sie vorfand. Sie war gleichzeitig enttäuscht und über alle Maßen beeindruckt. Imanahm war grau und schmutzig. Die gewaltigen Mauern, die sie passieren mussten, bestanden aus riesigen, behauenen Steinen, einige so groß wie Reig selber. Sie hatte zuerst gedacht, sie ritten auf einen Steinbruch zu. Erst als sie das Tor gesehen hatte, hatte sie auch die Zinnen wahrgenommen.

Die Wächter am Tor waren eine Enttäuschung. Sie war Wochen lang mit den fünf Männern unter Owithir geritten, harten Männern, so aufrecht und stolz, wie sie da auf ihren Ges saßen. Die Wächter, die nur für einen kurzen Augenblick versuchten, ihnen den Weg zu verstellen, waren vielleicht nicht ganz so schmutzig wie Marinam und die anderen. Aber in ihre Gesichter stand die Angst geschrieben, als sie Owithir erkannten. Sie wichen feige und unterwürfig zurück. Dadurch fühlte sie sich auf seltsame Weise überlegen, obwohl sie ein junges Mädchen war. Sie hatte keine Angst vor Owithir.

Sicher, die Tore, die die ganze Zeit offen standen, waren groß und beeindruckend. Die Häuser, an denen sie auf ihrem Weg vorbeikamen, waren jedoch alt und in einem schlechten Zustand. Je weiter sie sich zum Zentrum vorarbeiteten, desto besser wurden allerdings die Gebäude, bis sie den Marktplatz sehen konnte. Bevor sie den Platz jedoch erreichten, bogen sie zur rechten ab und gelangten auf diese Weise in eine Gasse, durch die das Bataga sich nur mühsam bewegen konnte. Mehrfach stießen Owithirs Beine bei den schwankenden Bewegungen gegen die Hauswände. Reig spürte, wie er sich jedes Mal dabei verkrampfte. Sie stellte sich vor, wie er die Zähne zusammenbiss, um nicht zu fluchen. Ihr Vater hätte geflucht.

Marinam meldete sich, sobald sie alle in die Gasse eingebogen waren: „Wohlehrwürden, müssten wir nicht zum Tempel Veshtajoshs und Bericht erstatten?“

„Wir sind auf dem Weg, Marinam. Aber der direkte Weg würde länger dauern. Selbst zu dieser Zeit ist der Markt noch zu voll.“

„Nach links wäre es noch schneller gegangen, Wohlerwürden. So müssen wir einmal um den Markt herum.“

Owithir schwieg. Er kannte den anderen Weg. Es war tatsächlich der Kürzere. Aber die Spur, die er immer noch verfolgte, verlief auf dieser Seite. Er würde sie so lange verfolgen, wie er vorgeben konnte, sich weiterhin auf dem Weg zum Tempel zu befinden, dann würde er sie für einen kurzen Moment aus den Augen verlieren müssen. Er hatte die unbegründete Furcht, dass sie, sobald er sich von ihr abwandte, verschwinden würde. Dabei waren sie anfangs mehrfach von der Spur abgekommen, als er sie noch nicht hatte sehen können, bevor die Götter sie ihm offenbart hatten. Je näher sie der Straße kamen, die in Richtung des Hafens führte, desto mehr Spur konnte Owithir erkennen. Zuerst dachte er, dass sie inzwischen so nahe an die Dämonenbeschwörer herangekommen waren, dass die Spur überdeutlich wurde. Es bedurfte jedoch nur eines zweiten Blickes, damit er diese Überlegung verwarf. Tatsächlich handelte es sich um mehrere Spuren, die sich immer wieder kreuzten. Einige älter, einige jünger, als wären sie immer wieder hier entlang gekommen. Owithir nickte, als sie die Hafenstraße kreuzten, um sich selbst zu bestätigen, dass sie am richtigen Ort waren. Auf dieser Straße waren sie ein paar Mal zum Markt gegangen und wenn er jetzt auf den Platz blickte, konnte er auch dort die Spur sich zwischen den Ständen schlängeln sehen.

 

Sie erreichten den Tempel kurze Zeit später. Er war gewaltig. Reigerin blickte die hohen Mauern hinauf. Sie sah die großen Fenster, die größten, die sie jemals gesehen hatte. Überhaupt hatte sie bisher nur hier in der Stadt und bei den Gasthäusern, an denen sie vorbeigekommen waren, Glasfenster gesehen. Aber nichts, dass auch nur annähernd so beeindruckend gewesen wäre, wie diese.

Reigerin konnte ihre Blicke nicht davon abwenden. Weswegen ihr bei diesem ersten Besuch auch nicht die Menschenmenge auffiel, welche von dem Tempel durch eine Absperrung ferngehalten wurde. Sie registrierte nicht einmal, dass einige der Verzweifelten versuchten, Owithirs Aufmerksamkeit zu erlangen. Erst beim nächste Mal, als sie den Platz mit offenen Augen für ihre Umwelt betrat, hielt sie die schreiende und heulende Menge für Bettler. Sie bettelten jedoch nicht um Brot, denn das erhielt man an anderen Tempeln leichter.

Als Owithir vor ihr von einem Wächter angesprochen wurde, gelang es ihr endlich, ihre Augen von dem Tempel loszureißen und etwas anderem zuzuwenden.

Die Kleidung des Mannes war der ihrer Wächter nicht unähnlich, nur sehr viel ordentlicher und besser für die Kälte ausgestattet. Einen Moment lang schien er den dreckigen Haufen, der auf ihn zukam, nicht zuordnen zu können, Als Owithir jedoch seinen Amtsstab unter seinem Hemd hervorholte, verbeugte er sich sofort.

„Ist gut, mein Sohn. Wir sind in Eile. Ich bin Subdiakon Owithir. Wir verfolgen zwei flüchtige Hexer. Wir erbitten Unterstützung in unserem Unterfangen.“

Der Wächter sah ihn mit großen Augen an. Owithir hatte schnell und mit Nachdruck gesprochen, aber nicht unfreundlich. So wie er sprach, hätte man annahmen können, dass er gerade vom Gebet kam. So wie er jedoch aussah, kam er vom Schlachtfeld. Der Mann war erst seit einigen Wochen ein Wächter und hatte zum ersten Mal das Amt des Meisters der Pforte inne. Aber über jemanden Namens Owithir hatte selbst er Gerüchte gehört. Sehr beängstigende Gerüchte.

„Ich werde sofort den Hochehrwürdigsten Abt verständigen, Wohlehrwürden.“ Er verbeugte sich erneut und rief etwas durch die geschlossene Tür hinter sich. Augenblicklich kam ein weiterer Wächter, der den Reisenden einen nicht zu freundlichen Blick zuwarf. Sobald er jedoch die Worte seines Kammeraden gehört hatte, verbeugte auch er sich und lief zurück ins Gebäude.

Der zurückgelassene Wächter blickte unsicher zu dem Mann auf dem Bataga hoch. Er und seine Gefolgsleute schienen keine Anstalten zu machen, von ihren Reittieren abzusteigen, was selten, aber nicht zu ungewöhnlich war. Sie mochten auf die offizielle Begrüßung durch einen Priester warten, oder sie waren dermaßen in Eile, dass es sich nicht gelohnt hätte. Es bestand aber auch die Möglichkeit, dass der Subdiakon vor ihm die Sondervollmachten eines Hexenjägers wahrnehmen wollte, und so seine Sonderstellung gegenüber dem Abt zu betonen beabsichtigte. Eine dumme Idee, wenn man hoffte, die Stufen der Hierarchie hinaufzuklettern, soviel wusste selbst der Wächter.

Während er noch über den Grund nachgrübelte, schwang bereits die Tür hinter ihm auf und er musste dem Abt den Weg frei geben. Der alte Mann war rüstig, atmete dennoch schwer, als hätte er sich sehr beeilt. Er blieb stehen, um den jüngeren aber verdreckten Mann mit zusammengekniffenen Augen zu mustern.

„Der junge Owithir ist zurückgekehrt. Warum kommst du nicht herein?“

„Euer Gnaden.“ Owithir verbeugte sich so tief, wie es ihm auf dem Bataga möglich war, „Wir haben zwei Hexer hierher verfolgt. Ich fürchte, dass sie uns entkommen könnten, wenn wir die letzten Stunden des Tages nicht noch ausnutzen.“

„Mein Sohn, wir haben deine Nachricht erhalten. War es wirklich so schlimm?“

„Ja, Euer Gnaden. Ich werde euch heute Abend gerne alles genau berichten, aber verzeiht mir, wenn ich euch nicht den gebührenden Respekt erweise. Die Götter haben mir mit ihrer Gabe offenbart, dass die Häretiker ganz nahe sein müssen. Daher bitte ich euch, mir einige Tempelwächter zur Verfügung zu stellen, damit wir sie festnehmen können.“

Der alte Mann sah Owithir prüfend an. Er hatte selten mit ihm gesprochen, und wenn es tatsächlich dazu gekommen war, war ihm der jüngere Mann immer schüchtern und gequält vorgekommen. Der Owithir vor ihm schien eine neue Selbstsicherheit gefunden zu haben und der Abt musste lächeln, denn anders als so viele andere Priester, schien ihn diese Selbstsicherheit nicht abweisender, sondern nur bestimmter, vielleicht sogar ein wenig glücklich gemacht zu haben. Er machte einen Schritt auf den Berittenen zu und legte ihm seine alte Hand auf den Unterarm, ohne zu wissen, was er ihm damit möglicherweise antat. Er sah, wie sich Owithirs Augen verengten, wurde jedoch von dem Novizen abgelenkt, der aus dem Tempel herauslief. Der Junge hielt ein kleines Kästchen in der Hand und reichte es ehrerbietig dem Abt.

„Eigentlich solltest du dies nach einem Gottesdienst erhalten. Aber wie du sicher weißt, schreiben unsere Regeln vor, dass ein Subdiakon nur unter der Führung eines Diakons Wächtern vorstehen darf. Ich denke, über deinen Regelverstoß während deiner Mission können wir hinwegsehen. Aber bevor ich dir noch mehr Männer anvertraue, sollten wir Ordnung schaffen.“ Er lächelte erneut. „Dies hat nur auf deine Rückkehr gewartet.“ Damit klappte er das Kästchen auf. Es enthielt einen Amtsstab, wie Owithir ihn unter seinem Hemd trug, vielleicht eine Spanne lang und Daumendick. Nur war dieser Stab mit Eisen beschlagen, nicht mit Kupfer, wie Owithirs. Ein Diakonsstab.

Jetzt stieg Owithir doch vom Bataga und versuchte die Schmerzen in seinen Beinen nicht zu zeigen, als er sich auf die Knie fallen ließ. „Euer Gnaden, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin nicht würdig, diesen Rang zu bekleiden.“

„Du bist es. Wenn nicht du, wer sollte es sonst sein. Du bist von den Göttern gesegnet. Und du hast ihre Gabe immer nur in Ehrfurcht und in ihrem Dienst verwendet.“ Er wandte sich an den Meister der Pforte. „Geh zum Meister der Wachen und richte ihm aus, dass bis zum nächsten Gongschlag zwanzig Wachen an der Pforte zu stehen haben, ausgerüstet für die Jagd auf Hexer und Dämonenbeschwörer.“ Der Wächter verbeugte sich tief und rannte fort, als wäre ein brennendes Bataga hinter ihm her. Anschließend wies der Abt den Novizen an, ein wenig Brot und Wasser vor die Pforte zu bringen, während Owithir immer noch auf dem harten Pflasterstein saß und sich zu seinen Männern umsah, die ihn seltsam zufrieden anlächelten. Dann winkte er Reigerin vom Bataga herunter und sie blieb zwei Schritte hinter ihm stehen. Sie sah recht verloren aus, zwischen dem großen Tier und dem Abt.

Der alte Mann sah sie kurz an, flüsterte dann aber einen Segen über dem neuen Diakon, den Reig nicht verstehen konnte. Dabei schien er das Mädchen vollständig zu vergessen. Erst dann reichte er Owithir die Hand und half ihm, aufzustehen.

Inzwischen waren auch die Wächter seines Gefolges abgestiegen. Noch bevor Owithir sich umdrehen konnte, waren sie bereits jeder auf ein Knie gefallen und hatten den Kopf gesenkt. Es war eine ungewöhnliche Ehrerbietung, dem Hüter des Leuchtens vorbehalten. Dementsprechend ernteten sie den missbilligenden Blick des Abtes und auch Owithir runzelte die Stirn. Er hatte auf der Reise gespürt, dass mehr zwischen ihm und seinem Gefolge entstanden war, als es zwischen Priester und Wächtern üblich war. Er war nicht sicher, was seine Männer tatsächlich in ihm sahen, denn er hatte vermieden, ihre Gedanken zu lesen, aber ihre Gefühle waren oft genug zu ihm gelangt. Trotzdem konnte eine solche Ehrbezeugung Unruhe stiften, wenn sie von den falschen Leuten gesehen wurde.

„Steht auf, Marinam, Laftin, Kalig. Der Kniefall steht mir nicht zu. Ihr beschämt mich und wenn jemand eine solche Ehre verdient hat, dann gewiss ihre Gnaden und nicht ich. Steht bitte auf.“

Und zum Erstaunen des Abtes erhoben sich die Männer und wirkten sogar ein wenig beschämt, obwohl Owithirs Worte freundlich, wenn auch mit Nachdruck, vorgetragen worden waren. Der junge Diakon wandte sich erneut an den Abt.

„Verzeiht ihnen diese Ungehörigkeit. Sie haben auf der Reise untadelige Arbeit geleistet und jede Erwartung, die man hätte haben können, weit übertroffen.“

„Ist schon gut, mein Sohn, ich werde es aus meinen Gedanken verbannen.“

In diesem Augenblick trafen die zwanzig Wächter ein. Sie sahen adrett aus und standen augenblicklich in Reih und Glied, eine Übung, die Owithirs Gefolgsleute seit Monaten nicht mehr ausgeführt hatten und fast belustigt zur Kenntnis nahmen. Der Abt wandte sich an die Männer:

„Ich unterstelle euch Diakon Owithir, der auf der Suche nach zwei Dämonenbeschwörern ist.“ Owithir trat vor. „Wer ist euer Gruppenführer?“ fragte er auf seine stille, fast vorsichtige Art hinzu. Seine eigenen Gefolgsleute wussten inzwischen, dass ihn seine Sanftheit nicht schwach machte. Ein Mann meldete sich. „Wie ist dein Name?“

„Veinem, Hochehrwürden.“

„Veinem, ich erwarte von euch, dass ihr erst zu euren Waffen greift, wenn ich es euch befehle, dass ihr eure Angriffe abbrecht, wenn ich euch es befehle und dass ihr vorsichtig mit den Gläubigen und euch selber seid.“ Er nickte dem Mann zu und bemerkte, dass er anscheinend zu einem seiner eigenen Wächter um Bestätigung blickte. Er blickte sich kurz um, und konnte gerade noch sehen, wie Tafgen zurücknickte. Er wandte sich wieder dem Abt zu. „Euer Gnaden, ich fürchte, ich bin noch nicht erfahren genug, um so viele Männer gleichzeitig zu befehligen. Wäre es möglich, dass ihr mir einen Diakon zur Seite stellt?“

Der alte Mann lächelte ihn freundlich an und ließ sofort noch einmal seinen Novizen loslaufen. „Immer noch so bescheiden, Hochehrwürden?“

 


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