Feen 2: Ein wenig Owithir, ein wenig Reig

Dienstag, 9. September 2014, 00:58
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Sie waren ganz nah. Der leuchtende Pfad, den Owithir vor sich sah, war so deutlich, wie er ihn zuvor noch nie wahrgenommen hatte. Sie hatten sogar eine kleine Pilgergruppe überholt, deren Anführer behauptete, sie gefangengesetzt zu haben, bis sie mit ihren dämonischen Kräften seine Wächter überwältigt hätten und entkommen waren. Owithir zweifelte an dieser Darstellung, nicht weil er glaubte, dass es unmöglich war, die beiden Magier zu überrumpeln, sondern weil er sich sicher war, dass die Flucht zumindest zu schweren Verletzungen oder sogar dem Tod der Wächter geführt hätte, wenn er von dem ausging, was sie hatte tun sehen.

Auch wenn der Bericht jener Pilger fragwürdig war, stand dennoch außer Frage, dass sie den beiden begegnet waren. Owithir hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Gedanken dieser Männer zu lesen. Was hätte er erfahren können, dass ihm bei der Jagd geholfen hätte? Die Scham, die von dem Anführer ausgegangen war, hatte er sich jedoch nicht entziehen können, als sie an der Gruppe vorbeigeritten waren. Er war versucht gewesen, sein Bataga zu zügeln. Reigerins Widerwillen gegenüber diesem Mann war jedoch so stark gewesen, dass er den großen Reitbüffel weitertrotten lassen hatte. Seine eigenen Wächter waren ihm gefolgt und es war ihm nicht entgangen, dass Tafgen einem der angeblich verzauberten Wächter des Pilgers zunickte.

Als sie außerhalb der Hörweite der kleinen Gruppe gewesen waren, hatte Pethen sich an Reig gewandt: „Ich spüre, dass du die Pilger nicht mochtest. Was stört dich an ihnen.“ Reig zögerte. Sie schämte sich, von Owithir nach ihren Gefühlen befragt zu werden. Sie reiste jetzt bereits seit drei Wochen mit einem Priester und fünf Kriegern durch eine Welt, von der sie keine Vorstellung gehabt hatte. Sie hatte die Männer all die täglichen Dinge tun sehen, die auch ihre Eltern und Geschwister getan hatten. Sie hatte sie fluchen gehört und ihnen das Wasser geholt. Sie hatte sogar damit begonnen sie zu bekochen mit dem wenigen, was man in dieser Jahreszeit und auf der Reise kochen konnte. Und vor allem saß sie Tag für Tag hinter Wohlehrwürden, roch ihn, spürte seine Wärme, hörte seine Freundlichkeit. Sie war noch ein junges Mädchen, sie war jedoch auf einem Hof mit Tieren aufgewachsen. Sie kannte die Läufe der Natur und was sie zwischen den Tieren anstellten. Sie war sich sicher, dass sie etwas Ähnliches empfand, auch wenn die Jahreszeit nicht danach war. Und sie wusste, dass es nicht rechtens war, etwas Derartiges gegenüber Wohlerwürden zu empfinden. Sie konnte ihre Gefühle jedoch nicht unterdrücken oder verneinen. Er war so freundlich zu ihr, er sorgte sich um sie. Die Söldner waren ebenfalls nett zu ihr, aber sie spaßten nur mit ihr, lobten oder neckten sie. Owithir, Wohlehrwürden, schien sie jedoch zu verstehen. Auch wenn er streng war, so war er doch gerecht, aufrichtig und auf seine eigene Weise gütig.

„Er war nicht ehrlich.“

„Viele sind nicht ehrlich. Auch meine Wachen lügen, wenn es ihnen nützlich erscheint.“ Kalig, der direkt hinter ihnen ritt, lachte kurz auf. „Sie stören dich nicht.“

Reig hatte einen Augenblick überlegen müssen. „Er ist wie der Händler, der mal auf dem Hof war.“

Owithir hatte die Gefühle in dem Mädchen aufwallen gespürt. Er spürte sie allzu oft und allzu deutlich. Es blieb nicht aus, wenn sie sich an ihm festhielt. Er konnte sich kaum dagegen wehren.

„Der Händler hat euch betrogen?“ Er hatte es als Frage formulierte, obwohl er die Antwort bereits gekannt hatte. Reigerin hatte nur genickt, was er nur an seinem Rücken hatte spüren können, aber nicht sehen.

„Ich weiß was du meinst, Reig. Ich mochte ihn auch nicht.“

 

Seitdem waren sie weitergeritten und den beiden Hexern immer nähergekommen. Owithir wäre gerne noch schneller vorangekommen. Zwar erschöpfte er inzwischen nicht mehr so leicht, trotzdem strengte ihn das Reiten und die göttliche Sicht, mit der er der Spur folgte, immer noch an. Seine Wächter mussten ihn jeden Abend zwingen, die Verfolgung zu unterbrechen, weil sie fürchten mussten, dass er erneut von seinem Bataga herunterfallen würde, wenn er sich überanstrengte.

Da sie jetzt der Straße folgten, kamen sie immer wieder an Gaststätten vorbei. Allerdings musste der Priester das Geld zusammenhalten, denn er bestand darauf, für alles, was sie sich nehmen mussten, auch zu bezahlen. Seine Wächter kannten viele Priester, waren mit vielen gereist. Für sie alle waren die Dinge, die sie sich von ihren Gläubigen nahmen, nur weitere Opfergabe an die Götter, als deren Vertreter sie angesehen wurden. Kein anderer Priester den sie kannten hatte in ihrer Anwesenheit jemals einen Bauern für etwas Geld gegeben. Und dies, so seltsam es auch sein mochte, gefiel den Wächtern, die es ansonsten gewohnt waren, überall gefürchtet zu sein. Es gab ihnen das Gefühl mehr als nur privilegierte Waffenträger zu sein. Mit Owithir waren sie tatsächlich Diener der Götter, etwas Besonderes. Denn natürlich war ihnen das Leiden der Bauern vertraut. Schließlich war keiner von ihnen mit einem goldenen Löffel im Mund auf die Welt gekommen. Nur weil es ihnen im Dienst der Priester besser ging, ignorierten sie das Leid oder freuten sich heimlich, dass es nicht sie selbst traf.

Nur leider bedeutete Owithirs Großmut eben auch, dass sie sich keine Unterkunft leisten konnten. Hinzu kam, dass er sich nur ungerne seine Tagesritte von irgendwelchen Wegmarken wie den Gaststätten bestimmen ließ. So bauten sie nun ein weiteres Mal ihr Lager am Wegesrand auf, in der Kälte, mit einem mageren Feuer, nur mit dem Schutz einiger Blattloser Sträucher und des Batagas sowie der fünf Ges, an die sie sich schmiegten, um von beiden Seiten Wärme zu empfangen. In der Kälte verschwanden die Standesunterschiede und die kleine Gruppe drängte sich dicht zusammen. Owithir hätte gerne auf diesen Kontakt verzichtet, aber selbst wenn seine eigenen Träume mit denen der anderen durchmischt wurden, die Wärme war willkommen.

Owithir und Reig waren von den Wachen ausgenommen. Aber oft genug wachte einer von ihnen auf, wenn beim Wachwechsel ein Rucken durch ihr Lager ging. Manchmal setzte sich Owithir dann zu dem Wachhabenden ans Feuer und leistete ihm Gesellschaft, so wie auch diese Nacht.

Das Feuer war inzwischen nur noch ein Glühen, denn sie hatten nicht viel Holz finden können. Die Bauern der Umgebung, Holzhändler und wohl auch die Reisenden vor ihnen hatten bereits das Meiste Brennmaterial verbraucht oder fortgeschafft. Daher hielt sich Tafgen, die dritte Wache in dieser Nacht, mit den eigenen Armen umschlungen dicht neben der Glut, von der kaum noch etwas zu sehen war. Owithir hatte gehofft, sich ein wenig am Feuer aufwärmen zu können, blieb aber trotz der Kälte einen Moment bei dem Wächter. Die Nacht war finster und nur ab und zu konnte man einen Schimmer des Rings oder den Halben Mond zwischen den Wolken hervorblinzeln sehen. Für den Priester hielt die Dunkelheit jedoch keine Geheimnisse mehr, seitdem er begriffen hatte, dass die besondere Sicht, die er als Gabe von den Göttern erhalten hatte, ihm auch die Nacht erhellte. Die Ironie dabei entging ihm nicht. Er war der einzige in seiner Gruppe, der jetzt noch etwas sehen konnte, aber trotzdem brauchte er keine Wache zu halten.

„Marinam meinte heute, wir müssten morgen Imanahm erreichen. Warst du schon einmal da?“ Es war eine jener belanglosen Fragen, die man stellte, um ein Gespräch zu beginnen, denn Owithir wollte nicht nur still hier hocken und auf die verlöschende Glut starren.

„Bin mal durchgekommen, Wohlehrwürden. Da waren ich, Laftin, Grillem und Sit noch Ehrwürden Ulavderan unterstellt.“

„Ich erinnere mich an Ulavderan. Ich bin ihm ein paar Mal im Tempel begegnet, wenn er uns Häretiker zur Befragung brachte. Er schien mir sehr streng und unnachgiebig zu sein. Wenig freundlich.“ Tafgen nickte. Das kannten sie inzwischen von ihrem Priester: er sprach offen über andere Geistliche. Seine Stimme verriet keinen Ton der Anklage, aber aus den Wörtern konnte man oft schließen, wenn man es denn wollte, dass er nicht immer einverstanden mit seinen Kollegen war. Was daran ungewohnt war, war nicht, dass ein Priester über ein anderen lästerte, sondern dass er sich mühe gab, es nicht zu tun. Der Wächter wusste, dass es solche Priester gab, er hatte jedoch nie mit ihnen zu tun, denn sie saßen in den Bethallen, Schreibstuben und Klausen. Außer mit ihren Gebeten verfolgten sie keine Ketzer. Wohlehrwürden war so sanft wie die betenden Priester, er konnte jedoch ebenso hartnäckig und gnadenlos sein wie die Priester von Sonne und Schwert, mit denen Tafgen und die anderen Wächter für gewöhnlich arbeiteten. Wenn die Geschichten aus den Folterkellern stimmten, dann konnte er sogar noch grausamer sein, wenn die Umstände es verlangten.

„Waren die beiden anderen deine Freunde?“ Tafgen starrte weiter auf die Glut, sein Kopf zuckte jedoch zustimmend. Mehr brauchte Owithir nicht zu wissen. Wenn die vier eine Einheit gewesen waren, dann waren sie zusammen bei dieser Mission marschiert, bis in die Höhle, in der die Magier gehaust hatten und aus der nur ein paar Männer der großen Schar wieder herausgekommen waren.

„Hast du Angst vor dem Tod?“

„Nein, Wohlehrwürden. Wir kämpfen und wir sterben. So ist das.“

„Ja, so ist das wohl.“ Sie schwiegen und froren gemeinsam. Owithir spürte einen seltsamen Trost durch die Nähe seines Wächters. Zu selten fühlte er sich jemandem nahe.

Tafgen schreckte plötzlich hoch. Noch bevor Owithir sich aufrichten konnte, hatte der Wächter seine Armbrust in Anschlag gebracht und späte in die Dunkelheit hinaus. Als Owithir sich neben ihn stellte, nickte Tafgen in Richtung der anderen Wächter. Der Priester bewegte sich so leise er konnte zu den Männern hin, und weckte sie, während er weiter in die Nacht nach dem Geräusch lauschte, dass seinen Wachhabenden aufgeschreckt hatte.

Dann sah er hinter einigen Bäumen kleine Wesen hervortreten. Sie glichen Ratten, die auf zwei Beinen liefen. In ihren kleinen Händen hielten sie Speere und lange Messer. Er hatte solche Wesen noch nie gesehen, kannte jedoch Erzählungen von Rattenmenschen. Händler, die den Osten bereisten, hatten immer wieder von ihnen berichtet, von ihrem Gestank, ihrem Dreck und ihren wimmelnden Städten. Sie waren klein, aber es blieb nicht nur bei dem einen. Immer mehr tauchten in seinem Sichtkreis auf, verließen ihre Verstecke hinter Bäumen und Büschen. Sie gingen forschen Schrittes in Richtung des Lagers, verharrten jedoch, als einer von ihnen ein leises Fiepen von sich gab, dass Owithir überhört hätte, wenn er nicht gewusst hätte, dass dort Ratten standen.

Die kleinen Wesen schnüffelten in die Richtung der Menschen. Mit ein paar weiteren Fiepsern gab der Anführer seinem Trupp ein Zeichen, und die Rattenmenschen wichen zur Seite aus.

Inzwischen waren die Wächter aufgestanden und hatten sich mit ihren Pieken bewaffnet vor Owithir aufgestellt. Auch sie blickten in den finsteren Wald, konnten aber unmöglich die kleinen Gestalten erkennen. Möglich, dass sie Bewegungen wahrnahmen, aber Owithir wusste selbst, dass der Geist den Augen die unheimlichsten Streiche in der Dunkelheit spielte. Er hörte das vibrierende Geräusch der Armbrustsehne, als Tafgen auf etwas schoss, konnte dem Flug des Bolzens jedoch nicht folgen. Die Rattenwesen bemerkten den Schuss nicht einmal und setzten ihren Weg leise und flink fort.

Während noch Tafgen seine Waffe mit Haken und Bügel spannte, beobachte Owithir, wie die Gruppe der Rattenmenschen weiter nördlich von ihnen die Straße überquerte. Sie bewegten sich weiter ganz leise und erst nachdem sie aus seiner Sicht verschwunden waren, fiel ihm auf, dass seine Männer immer noch das Gebiet, aus dem sie zuerst Geräusche gehört hatten, anstarrten.

„Sie sind weg, Tafgen. Marinam, Kalig, legt euch wieder schlafen. Es wird uns nichts geschehen.“

Marinam, der inoffizielle Führer der verbliebenen Wächter, warf Owithir einen fragenden Blick zu, den der Priester, hätten ihn die Götter nicht gesegnet, unmöglich hätte erkennen können.

„Es waren Rattenmenschen und sie sind weitergewandert. Sie haben uns gerochen und wollten uns wohl nicht begegnen.“

Laftin schüttelte den Kopf, als wollte er zum Ausdruck bringen, dass er sich niemals an Owithirs Gabe gewöhnen würde. Trotzdem ging er zusammen mit den anderen Wächtern zurück zum Schlafplatz. Nicht nur er warf dabei dem heruntergebrannten Feuer einen missmutigen Blick zu. Owithir atmete leise erleichtert aus und kümmerte sich um Reigerin, die sich in Ermangelung eines warmen Rückens, an den sie sich hätte kuscheln können, zusammengerollt hatte. Er half Laftin und Kalig, sie ein wenig besser hinzulegen, damit sie sich als Menschliche Wärmekrucken um sie legen konnten.

Er lächelte. Die harten Männer, die den Tod nicht fürchteten, hatten das junge Mädchen anfänglich abgelehnt, hätten sie vielleicht sogar getötet, wenn Owithir sie nicht zuerst gefunden hätte. Inzwischen war sie ihnen jedoch ans Herz gewachsen, wie sie auch ihm ans Herz gewachsen war. So froh er darüber war, dass sie die Milde in den Kriegern geweckt hatte, so sehr wünschte er trotzdem, dass sie ihnen niemals gefolgt wäre, denn er fürchtete, dass die Gefahr, in die sie sie mitnahmen, sie umbringen würde.



Feen 2: Pethen wird entdeckt

Samstag, 6. September 2014, 18:16
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Vier Tage, länger hatte es nicht gedauert. Dabei hatten sie sich so viel Mühe gegeben. Pethen und Hylei hatten sich nur einmal während dieser Zeit gesehen. Sie waren aneinander vorbeigegangen und hatten sich zugenickt, ganz leicht, fast unsichtbar. Sie hatten sich darauf geeinigt, sich alle zwei Tage einmal zu sehen, zwei Monate lang, nur um zu überprüfen, ob sie beide noch in Ordnung waren. Dann wollten sie weitersehen. Aber nach nur drei Tagen hatte man ihn schon entdeckt. Er wusste nicht, wie. Er hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen. Er hatte keine Magie verwendet. Er hatte, soweit er wusste, immer die Augen offen gehabt, wenn er sie offen haben sollte, und geschlossen, wenn er schlief.

Aber vermutlich hatte er nicht einmal gemerkt, dass er einen Fehler begangen hatte. Nur wie hatte ihn der Mann, der ihn bereits den ganzen Morgen beobachtete, entdeckt? Pethen hatte ihn zum ersten Mal gesehen, gleich als er zur Arbeit gekommen war. Da er seine blinde Sicht inzwischen nur noch mit einer Willensanstrengung unterdrücken konnte, sah er immer etwas mehr als andere Menschen. Nur auf diese Weise war er ihm aufgefallen. Trotzdem hatte er sich anfänglich nichts weiter dabei gedacht, auch wenn er Nichts dergleichen jemals zuvor gesehen hatte. Er wusste, dass er bisher kaum unterschiedliche Wesen mit dieser speziellen Sicht gesehen hatte, nur Menschen, eine Feenlingin und die paar Jaltus, wenn man von den Tieren und Pflanzen absah. Aber sie alle hatten auf irgendeine Weise geleuchtet, bei Manchen nur der Körper, bei anderen, wie Hylei, auch die Luft um den Körper herum, besonders, wenn sie die Magie an sich zog. Unabhängig davon, hatte dieses Leuchten immer annähernd die Form der Person selbst beibehalten.

Bei jenem Mann jedoch war alles verkehrt. Im ersten Moment schien er gar nicht zu leuchten. Dann wieder gingen einzelne leuchtende Strahlen von ihm aus. Er schien zu flackern wie eine Kerze, dann wieder musste Pethen sich abwenden, weil er Angst hatte, geblendet zu werden, was einerseits sehr schwer war, wenn man das Licht selbst mit geschlossenen Augen sehen konnte und andererseits vollkommen unnötig, denn nichts an seinem Körper hätte von diesem Licht, das die Augen nicht sahen, geblendet werden können.

Beim ersten Mal war es ihm nicht aufgefallen, denn der Mann war nur kurz in seinem Sichtfeld erschienen. Dann war er wieder verschwunden und Pethen hatte nicht mehr an ihn gedacht, weil die Arbeit ihn in Anspruch genommen hatte. Doch wenig später hatte er ihn bei einer Hausecke gesehen, von wo aus er ihm direkt in die Augen zu blicken schien. Es war erst das zweite Mal, dass er ihn sah, aber die Intensität dieses Blicks beunruhigte den jungen Mann.

Von da an tauchte der Fremden immer wieder auf, immer an einer anderen Stelle, immer nur für ein paar Augenblicke. Und jedes Mal hatte Pethen ihn ein wenig besser gesehen und es hatte ihn mehr und mehr beunruhigt. Der „Mann“, oder was auch immer der Beobachter sein mochte, musste über irgendeine Art der Magie verfügen. Pethen hatte nur Hylei als Maßstab, da sich seine Sicht zu sehr in den letzten Wochen gewandelt hatte. Er wusste nicht, wie stark Hyleis Magie tatsächlich war. Aber im Verhältnis zu dem Feuer, das den Fremden umgab, war Hylei nur ein Stück Kohle, aus dem ein paar kleine Flämmchen hervorflackerten.

Inzwischen hatte ihn der Vorarbeiter zweimal angeschrien, weil er immer wieder aufblickte und dadurch seine Arbeit vernachlässigte. Auch seine Kollegen warfen ihm böse Blicke zu.

Er brauchte diese Arbeit. Er brauchte das Geld. Er konnte sich keine Fehler erlauben. Deswegen versuchte er den fremden Magier zu ignorieren. Ihm wurde jedoch langsam bewusst, dass seine Sicht, die ihm nachts im Wald so gute Dienste geleistet hatte, auch ein Fluch sein konnte. Er machte seine Arbeit, strengte sich an, konzentrierte sich, schwitzte vom Schleppen und der Willensanstrengung. Trotzdem sah er ihn immer wieder. Die Häufigkeit nahm sogar zu und die Orte an denen er auftauchte wurden immer irritierender. Warum kletterte er auf Dächer, versteckte sich hinter Schuppen oder unterhalb eines Stegs? Entweder er wusste, dass Pethen ein Magier war, der ihn mit seinen besonderen Kräften sehen konnte, dann brauchte er sich nicht verstecken. Oder er wollte ihn beobachten, weil er sich nicht sicher war, dann hätte er sich bessere Orte aussuchen müssen.

Pethen konnte es nur mühsam bis zur Pause aushalten. Sobald der Schiffbaumeister das Signal gab, legte er das Holzstück ab, dass er gerade herbeigetragen hatte, und rannte geradewegs auf den Mann zu, der sich derzeit hinter einen Schiffsrumpf versteckte. Die anderen Arbeiter blickten ihm nach, sagten jedoch kein Wort. Sie wunderten sich nur über den schmächtigen Jungen, der sich alle Mühe gab, heute aber ein wenig abgelenkt zu sein schien.

Schon bevor Pethen den Rumpf erreicht hatte, war sein Ziel bereits wieder verschwunden. Er drehte sich im Kreis, um seine Umgebung abzusuchen. Zumindest tat er so, als wenn er seinen Blick über die Umgebung schweifen lassen würde, denn er wusste bereits, wo der Mann diesmal aufgetaucht war. Inzwischen wunderte er sich nicht mehr darüber, dass der Fremde von einem Ort verschwand und an einem auftauchte, ohne sich dorthin bewegt zu haben. In der Magierzuflucht hatte er nichts von einem solchen Zauber gehört, der es jemandem erlaubte, so schnell zu laufen, dass man ihn nicht mehr sah. Aber nach allem, was er gesehen hatte, musste der Magier mächtiger sein, als jeder andere, dem er bisher begegnet war. Er konnte sich nicht einmal vorstellen, wozu Hylei fähig wäre, wenn sie eine richtige Ausbildung erhalten würde, nach allem, was Pethen wusste, konnte der Fremde Berge versetzen.

Er machte sich wieder auf den Weg, diesmal rannte er jedoch nicht. Diesmal ging er langsam, auch wenn dies bedeutete, dass ihm kaum genügend Zeit bleiben würde, um am Ende seiner Pause wieder rechtzeitig an seinem Arbeitsplatz zu sein.

Schließlich traf er den Mann am Eingang einer Gasse, wo er auf Pethen zu warten schien.

„Schön, dass du gekommen bist. Was hat dich aufgehalten?“

„Wer seid ihr?“

„Oh, gleich eine Fragen. Meinst du, dass wir uns schon gut genug kennen?“

„Ich euch nicht, aber ihr beobachtet mich seit Sonnenaufgang.“

„Du hast mich gleich gesehen, oder?“ Pethen reagierte nicht, was den Fremden jedoch nicht zu stören schien. Er sprach einfach weiter. „Gestern hast du mich jedoch nicht gesehen, stimmt‘s? Da habe ich dich nämlich entdeckt. Du stichst ziemlich heraus, wenn man weiß, wonach man kucken muss. Zum Glück wissen das nicht viele hier. Ich kenn nur noch einen anderen, und der ist ein guter Freund. Aber du kannst es auch sehen, nicht wahr? Sonst hättest du mich nicht so leicht gefunden.“ Pethen konnte den Mann immer noch nur anstarren, seine Feindseligkeit ließ jedoch zu Gunsten seiner Verwirrung nach.

„Wir wissen beide, dass es für uns hier gefährlich ist. Deshalb sollten wir uns heute Abend irgendwo anders treffen. Allerdings solltest du wissen, dass du einen ziemlich dicken Faden hinter dir herziehst. Du bist mit jemandem verbunden, wenn ich mich nicht irre. Du solltest den Faden kappen. Wer weiß, was sonst dabei herauskommt.“ Der Fremde blickte in die Richtung von Pethens Arbeitsplatz. „Ich bin heute Abend wieder hier. Dann können wir weiterreden. In Ordnung?“

Diesmal nickte Pethen. „Wie konntet ihr euch so schnell bewegen? Kann ich das auch lernen?“

„Magie“ Der Mann lachte. „Was denkst du denn? Aber ich bin mir nicht sicher, ob du es lernen kannst. Ich bin kein Lehrer und deine Magie ist sowieso anders. Ich hab‘s mal die zweite Magie genannt, sehr zum Ärger eines Freundes“, er schmunzelte bei der Erinnerung, während Pethen bei diesen Worten vor Erstaunen der die Augen übergingen. Er hatte auf einer alten Tafel einen Vermerk gelesen zu dieser zweiten Magie. Sein Meister hatte vermutet, dass dies seine Magie wäre, was der Fremde jetzt zu bestätigen schien. Aber der Eintrag war so alt gewesen, dass niemand auch nur ahnte, wer ihn geschrieben haben könnte. Wenn der Mann vor ihm nicht einfach nur log, dann …

„Aber an deiner Stelle würde ich jetzt zurück gehen. Sonst verlierst du noch deine Arbeit.“

Pethen nickte ein zweites Mal und drehte sich um. Er rannte ohne auf seine Umgebung zu achten, konnte aber trotzdem sehen, wie der Fremde erneut verschwand, ohne dass er die Bewegung hatte wahrnehmen können.

 

Hylei war nicht begeistert, als Ihr Weggefährte ihr auf ihrem Heimweg auflauerte. Wahrscheinlich war es ein Glück, dass sie nur eines ihrer Wurfhölzer bei sich trug. Hätte sie ihr Messer dabei gehabt, Pethen hätte ernsthaft verletzt werden können. Er wusste nicht, wo sie ihre anderen Waffen untergebracht hatte, nur von ihrem Speer kannte er das Versteck, denn er war dabei gewesen, als sie auf einen Baum vor der Stadt geklettert war, und ihn an einen hochgelegenen Ast gebunden hatte.

„Was machst du hier?“ Hylei hatte ihm mit ihrem Ellenbogen einen Schlag in den Magen versetzt. Anschließend war ihr Fuß gegen ihren Hacken gestoßen und sie hatte ihm einen kräftigen Stoß gegen seine Brust versetzt. Nun lag er auf dem Boden, sein ganzer Körper schmerzte und seine Arme waren von ihren Knien fixiert, während er gebannt auf das Wurfholz in ihrer erhobenen Hand starrte.

Er versuchte zu antworten, kriegte jedoch kaum Luft und konnte nur vor Schmerzen ächzen. Mit einer geschmeidigen Bewegung verschwand das Holz wieder an Hyleis Körper und sie erhob sich. Pethen blieb noch einen Augenblick lang liegen, stand dann aber mühsam auf, indem er sich zuerst auf die Seite rollte und langsam hochstemmte. Er hustete noch einmal, bevor er antwortete. „Da war ein Mann. Er wusste, was ich war … bin.“

Hylei sah ihn mit diesem Blick an, den sie immer für ihn erübrigte, wenn er etwas in ihren Augen ausgesprochen Dummes getan hatte. „Ich habe nichts gemacht. Er hat mich einfach gefunden.“

Er versuchte es ihr unter ihren kritischen Blicken zu erklären, was nie leicht für ihn war. Hinzu kam, dass es schwer war, ihr die Begegnung und seine Eindrücke zu vermitteln, ohne das Wort Magie zu verwenden oder irgendetwas, das einem zufälligen Lauscher einen Hinweis auf ihre Fähigkeiten geben mochte. Gleichzeitig durfte er auch nicht die magische Fortbewegung des Magiers erwähnen, wollte Hylei jedoch begreiflich machen, wie mächtig dieser Mann sein musste. Je länger es dauerte, desto unruhiger wurden sie beide, bis Hylei schließlich einlenkte.

„Ich komme auch heute Abend. Warte aber nicht auf mich. Ich werde mich versteckt halten. Und erwähn mich bloß nicht.“

„Hab dich ja jetzt auch nichts über dich gesagt. Und so, wie er sich ausgedrückt hat, weiß er noch nichts von dir.“

„Versuch ihn ins Freie zu bekommen. Dann werde ich sehen, ob ich ihn töten kann.“



Feen 2: Estron findet eine Unterkunft

Sonntag, 31. August 2014, 08:11
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Eigentlich hätte es niemanden überraschen sollen, dass Estron selbst in Imanahm jemanden kannte. Trotzdem hätte vermutlich nicht einmal Shaljel geahnt, dass dieser Freund eine vornehme Dame in einem vornehmen Haus mit Bediensteten und einer unnötig großen Zahl Zimmern war.

„Oh Meister Estron, wie konntet ihr hierher kommen? Wisst ihr nicht, dass es gefährlich ist?“ Dame Salvina war in den kleinen Raum gelaufen gekommen, so schnell es ihre Würde erlaubte. Eine Dienerin hatte die kleine Gruppe in ein bescheidenes Zimmer gleich beim Dienstboteneingang gebracht und dabei missbilligend auf den Chuor geblickt, als würde er Läuse mit ins Haus bringen. Dass der Chuor vermutlich der sauberste unter ihnen war, konnte sie nicht wissen. Kurz nachdem sie davongeeilt war, um ihrer Herrin von den Besuchern zu berichten, erschien prompt eine weitere Dienerin, die verlegen etwas Wasser anbot, ob als Getränk oder zum Waschen wusste sie wohl selber nicht. Aber jedem war bewusst, dass ihre eigentliche Aufgabe darin bestand, auf die schmutzigen Besucher aufzupassen.

Estron lächelte über Salvinas Auftritt, die sich daraufhin dem Mädchen zuwandte, welches immer noch den Wasserkrug in den Händen hielt. „Leilena, gutes Kind, lauf bitte zum Majordomus und richte ihm aus, dass wir fünf Gäste haben. Er soll alles herrichten für ihren Aufenthalt. Und sag dem Herrn Bescheid.“

Als das Mädchen die Tür hinter sich verschlossen hatte, umarmte Salvina den Keinhäuser und blieb länger in seinen Armen, als es nötig gewesen wäre. Als sie sich löste konnte sie ihr Naserümpfen nicht ganz verbergen.

„Seid ihr lange unterwegs gewesen?“

„Lange und wir sind weit gewandert. Es tut mir leid, dass wir bei dem Wetter nicht so sehr auf unser Äußeres geachtet haben.“

„Dagegen werden wir schon etwas tun. Aber wo sind meine Sitten geblieben. Ihr müsst mir unbedingt eure Freunde vorstellen.“ Sie wandte sich an die anderen: „Und ich hoffe, dass ihr auch meine Freunde werdet. Nein, eigentlich habe ich keine Zweifel, dass wir Freunde werden. Bitte, Meister Estron, stellt uns einander vor.“

Zur Überraschung seiner Schüler gelang Estron eine fast formvollendete Verbeugung, wie sie wohl jedem Patrizier-Foppen Imanahms gut zu Gesicht gestanden hätte, und mit schönen Worten stellte er Shaljel, Streiter, Tro-ky und Kam-ma vor. Er erzählte von ihren Taten, wie viel sie gemeinsam gesehen und erlebt hatten, was für großartige Menschen – und in einem Fall Wolfsmensch – sie waren. Er schmeichelte und lobte und jeder seiner Freunde reagierte anders auf seine Worte. Tro-ky wandte sich zu dem kleinen Fenster, Kam-ma wurde rot und blickte zu Boden. Shaljel grinste und lachte mehrmals. Und Streiter blieb stoisch an seinem Platz stehen, als wenn er gar nichts hören würde. Die Dame Salvina tat es Shaljel gleich, auch wenn ihr Wohlwollen gegenüber ihren Gästen mit jedem Wort zunahm. Als Estron geendet hatte, nahm sie jeden von ihnen in den Arm, selbst Streiter, der weiterhin steif blieb.

Wenig später fanden sich die Gäste in der Waschküche wieder. Salvina hatte darauf bestanden, dass sie ihr Bad nehmen sollten, aber Estron, der wusste, wie lange die Hausangestellten benötigen würden, die große Wanne zu füllen, hatte die anderen hierher getrieben. Den Weg hatte er aus dem eingeschüchterten Mädchen herausgekitzelt, der er überschwänglich für ihre Freundlichkeit gedankt und auf diese Weise die Einwände ihrer Herrin übertönt hatte. Von ihr erhielten sie auch Tücher zum Waschen und Abtrocknen. Als jedoch Salvina ihn ein letztes Mal bedrängt hatte, doch vernünftig zu sein, nahm er wenigstens die Seife an, die kostbarer war, als alles, was er seit langem in den Händen gehalten hatte, vielleicht mit Ausnahme eines kleinen Rindenstücks, auf das acht Leute uriniert hatten.

Während sie sich noch wuschen, kam ein Diener herein, der mehrere dünne Mäntel auf einen Hocker legte. Shaljel betrachtete sie sich lachend.

„Was ist das denn? Da kann ich ja auch nackt gehen.“

„Ich dachte, darüber hätten wir uns schon unterhalten, Shaljel?“

„Ist doch nur ein Scherz. Ich weiß auch, dass ich hier nicht nackt herumlaufen kann. Aber sieh dir mal den Stoff an. Und der Schnitt. Ein Windstoß und man ist mehr oder wenig nackig.“ Er warf sich den Mantel über, ohne sich abzutrocknen. Anschließend führte er eine schnelle Drehung aus, so dass sich der Saum hob und man kurz seine Nacktheit erkennen konnte. Kam-ma lachte. Auch Tro-ky konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Estron hingegen blickte Shaljel nur missbilligend an.

„Es sind Hausmäntel. Sie sind nur für das Haus gedacht.“

„Warum?“

„Damit wir hier nicht nackt sind.“

„Nein, warum macht jemand einen Mantel, den man nur im Haus trägt? Sowas habe ich noch nie gehört.“

„Ich kann es dir nicht genau sagen. Es ist wohl praktisch, Kleidung zu haben, die nur für drinnen ist. Vermutlich muss man die dann nicht so oft waschen.“

Shaljel blickte ihn mit einem ungläubigen Blick an. „Du weißt es auch nicht.“

„Nein, ich weiß es auch nicht. Aber wir ziehen sie jetzt an und uns wird trotzdem wärmer sein als die gesamten letzten Monate. Ich darf nur nicht daran denken, dass da Diener im Keller schuften müssen, damit wir es warm haben.

„Stimmt, denk nicht daran, sonst verdirbst du es noch mit unseren Gastgebern. Woher kennst du sie eigentlich?“

„Ich bin ihnen auf einer Reise begegnet. Man konnte ihre ehelichen Probleme bis vor die Gastwirtschaft hören.“

Shaljel nickte nur. Inzwischen hatte er Estrons Neigung kennengelernt, sich in Probleme anderer einzumischen. Allerdings war er wohl nicht derjenige, der sich ein Urteil darüber bilden sollte. Er hatte die letzten Jahrhunderte, nein, Jahrtausende, nichts anderes getan.

Streiter, den es weniger drängte, sich einzumischen, als alles im Stillen zu beobachten, konnte die Neugier von Estrons Schülern riechen. Sie waren immer begierig, alles über das Leben ihres Meisters zu erfahren, so genau, wie irgend möglich. Und Estron neigte dazu, nur spärlich von seiner Vergangenheit zu erzählen. In Streiters Augen war es allerdings recht deutlich, was geschehen sein musste, auch wenn er die Details nicht kannte. Streiter, der immer vermied, etwas von seiner Vergangenheit preiszugeben, konnte sehr gut damit leben, die Details der Vergangenheit eines anderen nicht zu kennen.

„Was ich dich schon immer fragen wollte“, versuchte Estron das Thema zu wechseln, „ warum nimmst du eigentlich immer eine männliche Gestalt an?“

Shaljel legte den Kopf schief und betrachtete den Keinhäuser. Kam-ma und Tro-ky waren zu erstaunt, um etwas anderes zu tun, als Blicke zu wechseln.

„Das stimmt doch gar nicht. Ich habe auch schon weibliche Formen angenommen. Warum fragst du?“

„Geht mir einfach seit geraumer Zeit nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe dich nur als Mann erlebt, aber ich weiß von Anai …“

„Ja ja ja, Anai ist eine alte Plaudertasche. Männliche Körper sind meist einfach praktischer.“

Estron nickte traurig. Wie hätte ihm auf seinen Wanderungen nicht das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern auffallen können. Es bestand bei allen Völkern, bei allen Rassen, in die eine oder andere Richtung. Nicht immer waren Frauen die Unterdrückten. Unter den menschlichen Völkern hatte Estron jedoch nur wenige gefunden, bei denen die Frau dem Mann als ebenbürtig betrachtet wurde, wenn nicht sogar überlegen. Und selbst wenn die Menschen so dachten, bedeutete das nur selten, dass sie auch so handelten. Männer besaßen bei den meisten Völkern mehr Freiheiten, das war eine Tatsache und Shaljel nutzte sie nur aus. Estron hätte es sich denken können. Er hatte sich vermutlich nur nie vorstellen können, wie bedeutungslos die unterschiedlichen Geschlechter für einen Feen waren, der beide und keines von ihnen besaß.

Wahrscheinlich würden ihn seine Schüler später nach seiner seltsamen Frage aushorchen und er würde sie mit dem Sexualleben der Feen in Staunen versetzen.

 

Wenig später standen die fünf vor der Waschküche, die Menschen in ihren Hausmänteln und Filzpantoffeln an den Füßen, der Chuor mit dem Stoff als Lendenschurz um seine Hüfte gebunden. Shaljel und die beiden jüngeren kicherten verschämt, weil sie sich albern in dem unpraktischen Stoff vorkamen. Salvina, die offensichtlich vor der Tür gewartet hatte, sah sie tadelnd an, konnte aber ebenfalls ein Lächeln nicht verbergen, als sie ihre Gäste betrachtete.

„Kommt, mein Gatte wartet bereits auf euch. Ich habe versucht viel Gemüse auftragen zu lassen. Aber die Jahreszeit, ihr wisst schon, da kann man nicht viel machen. Da ist es nicht mehr ganz so frisch.“ Sie wandte sich an den Chuor, der sie fast um drei Köpfe überragte. „Du isst Fleisch? Wir haben ein wenig Wild. Mein Gatte kann rohes Fleisch nicht ausstehen, deswegen ist es gekocht. Ist das in Ordnung.“ Streiter, der sich sichtlich überrumpelt fühlte, nickte. Salvina nahm Estron am Arm und führte ihn durch das Haus zum Saal, wo ein großer Tisch mit kostbarem Geschirr auf wertvollen Tischdecken eingedeckt stand. Auf dem Tisch stapelte sich mehr Nahrung, als sie auf ihrer Wanderschaft in einer Woche gegessen hatten. Shaljel, aber auch Tro-ky und Kam-ma, beobachteten, wie der Keinhäuser vor ihnen herging und offensichtlich sein Unwohlsein ob dieses Überflusses zu verbergen suchte.

Ein Mann erhob sich vom Ende des Tisches. Er hatte vielleicht vierzig Ringfüllen erlebt, vielleicht auch ein paar mehr. Seine Leibesfülle machte es schwer, sein Alter zu schätzen, aber vermutlich war er nicht viel Älter als seine Frau, der er einen verliebten Blick zuwarf.

„Estron, Meister. Mein Herz tat einen Sprung, als mein Weib mir ausrichten ließ, dass ihr hier wäret. Niemals hätten wir gehofft, euch noch einmal zu Gesicht zu bekommen.“

Er ergriff die Hand des Keinhäusers und zog ihn an sich heran, um ihn zu umarmen. Widerstand war kaum möglich und Estron ließ es geschehen. So war Meister Greivano: er liebte es, seine Gefühle in schöne Worte zu kleiden, meinte aber auch jedes einzelne, wenn er unter Freunden war. Wenn man ihn nur so kannte, wurde man aufs Übelste überrascht, wenn man mit ihm zu feilschen begann, denn seine Worte blieben weiterhin blumig, verschleierten dann jedoch seine Absichten. Estron konnte schlecht mit dieser Form der Unehrlichkeit umgehen, mochte den beinahe runden Mann trotzdem sehr gerne.

„Es sieht so aus, als wäre es euch gut in den letzten Jahren ergangen.“ Er blickte auf den großen Bauch, den Greivano daraufhin zufrieden tätschelte.

„Meint ihr? Ach wem will ich etwas vorgaukeln? Ja, es geht uns großartig. Dank eurer Hilfe. Ohne euch wären wir nicht so glücklich, wie wir es jetzt sind.“

„Das freut mich zu hören. Und ich danke dir, auch im Namen meiner Freunde, dass wir hier für eine Nacht unterkommen können.“

„Das ist doch selbstverständlich! Aber setzt euch doch erst einmal. Ihr seht aus, als hättet ihr lange, hungrige Fahrten hinter euch gebracht.“ Und wieder konnte Estron dem kleinen Mann nicht widerstehen und ließ sich auf einen der prunkvollen Stühle drücken. Auch die anderen fanden sich schnell vor ihren Tellern wieder, die sich fast wie von Geisterhand füllten.

Die beiden Schüler hatten in den letzten Jahren gelernt, mit wenig auszukommen, was aber nicht bedeutete, dass es ihnen deswegen leichter fiel, dem Überfluss, der sich ihnen an dieser Tafel bot, zu widerstehen. Im Gegenteil aßen sie bis sie satt waren und anschließend noch eine ganze Weile mehr. Sie konnten sich nicht daran erinnern, jemals so viel gegessen zu haben und, wenn man ihren Schwüren in der anschließenden Nacht glauben durfte, würden sie sich auch niemals wieder den Magen auf diese Weise überfüllen.

Trotzdem gingen alle sehr glücklich zu Bett, bis auf Shaljel, der Estron etwas zuflüsterte, kurz mit der Hausherrin sprach und wenig später das Haus verließ.



Feen 2: Neues von den Jaltus

Donnerstag, 28. August 2014, 08:33
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Einige Jägerrudel waren nicht zurückgekommen. Irish wusste, dass damit zu rechnen gewesen war. Sie waren in einem fremden Gebiet, mit fremden Gefahren und fremden Gegnern. Ihr Volk war weit gewandert, um hierher zu gelangen, und sie hatten kaum einen Tag hinter sich, an dem nicht einer von ihnen gestorben war. Sie vermehrten sich schnell, aber die vielen kleinen Kinder machten die Reise nicht leichter und meist waren sie es, die starben. Das Weinen ihrer Mütter und Väter war oft das einzige, was von den erschöpften Jaltus zu hören war. Diese ganze Flucht war ein einziger Alptraum. Und Irish kannte sich inzwischen mit Alpträumen aus. Sie wusste nicht, wann sie das letzte Mal geschlafen hatte, ohne von dem feurigen Ansturm der Drachen zu träumen, und von ihren Opfern, deren Körper sich in den Flammen verdrehten, wie es kein lebender Körper konnte. Noch träumte sie nicht von dieser Flucht. Aber sie durchlebte sie, Tag für Tag. Und alle blickten auf sie, Irish, die die älteste war. Sie hielten sie für weise. Sie hielten sie für ihre Führerin, ihre Retterin. Die ganzen letzten Monate hatte sie gehofft, dass sie vielleicht weise werden würde. Als Führerin hätte sie Entscheidungen treffen müssen, die ihr Volk retten, in Sicherheit bringen würde. So wie sie es jedoch sah, brachte sie die letzten Jaltus, die Überlebenden des Angriffs der Drachen, nur noch in immer größere Gefahr. Zum einen gab es hier zu viele Menschen. Sie kannten Menschen, Oh ja, sie kannten sie. Von allen Völkern, auf die sie jemals getroffen waren, mit denen sie Handel getrieben hatten und vor denen sie sich hatten verbergen müssen, waren die Menschen das uneinsichtigste, skrupelloseste und bornierteste. Vermutlich gab es auch gute und einsichtige unter ihnen, die nicht alle Jaltus verdammten, weil sie ihren Duft nicht ertragen konnten. Sie hatte von einem gehört, der sogar mit in die Städte gekommen sein sollte, aber bei den Nasen der Menschen konnte sie es nicht recht glauben. Wie brachte man ein ganzes Volk, jedes Mitglied mit einem eigenen Duft, an den Höfen, Dörfern, Städten und Straßen der Menschen vorbei? Es blieb nicht aus, dass sie entdeckt wurden, wenn auch nur vereinzelt. Natürlich zogen sich die einzelnen Jaltus immer gleich zurück. Aber nicht selten hatten sie bereits etwas mitgenommen. Irish, konnte es ihnen nicht verübeln. Sie waren alle hungrig. Sie konnte es den Menschen dann aber auch nicht verübeln, wenn sie verängstigt und wütend waren. Ihr Volk war jedoch klein und flink. Sie waren schwer zu finden, wenn sie nicht gefunden werden wollten und sich die geeigneten Verstecke suchen konnten. Doch wie sollten sie so viele Verstecke finden? Und mit jedem Mal, dass ein Mensch sie entdeckte, wurde die Gefahr größer, dass es sich herumsprach, dass irgendwelche Anführer der Menschen eins und eins zusammenzählten, dass man begann, sie zu verfolgen. Irish hatte ihr Lager an einem Bach aufgeschlagen. Nicht ganz ungefährlich, denn Wasser lockte die Lebenden. Die Kundschafter hatten jedoch den Lauf hinauf- und hinuntergespäht und keine Siedlung entdecken können. Als Wasserweg kam der Bach ebenfalls nicht in Frage, so dass die Jaltu sich recht sicher fühlte. Um ihr Lager herum legten immer viele andere Jaltus ihre eigenen Schlafstätten an. Wenn Irish es richtig verstand, hofften sie, durch ihre Nähe an ihrem Glück teilzuhaben. Welches Glück sie meinten, würde ihr wohl ewig ein Rätsel bleiben. Allerdings hielten sich auch einige Läufer und Rudelführer beständig in ihrer Umgebung auf, so dass immer wieder ihre Aufmerksamkeit gefordert wurde. „Wie weit willst du uns noch führen?“ „Ich weiß es nicht, Eikirs. Bis wir eine neue Heimat finden.“ „Aber hier sind nur Menschen.“ „Ich weiß Eikirs.“ „Wenn das jetzt immer weiter geht? Wenn jetzt überall Menschen sind?“ „Sie können nicht überall sein. Wir werden einen Ort finden.“ Sie war diese Gespräche leid. Am liebsten hätte sie Eikirs nur angequietscht. Aber selbst wenn es bei einigen Rudeln und sogar Familien üblich war, sich so lange anzuquietschen, bis ein Konflikt aus purer Erschöpfung beendet wurde, hatte sie in ihrer Zeit als Anführerin ihrer Jagdgruppe begriffen, dass damit nur selten etwas gelöst wurde. Stattdessen zuckten ihre Schnurhaare einmal kräftig, was viele inzwischen als ein Zeichen ihres Unmuts zu erkennen gelernt hatten. „Last uns erst Mal den Tag richtig beginnen“, beendete Irish das Gequengel. „Möchte jemand etwas berichten?“ Sie ließ ihren Blick in die Runde schweifen. Niemand schien den Anfang machen zu wollen. „Dann halt erst mal das übliche. Wie viele Tote?“ Alle Augen wandten sich Tsyrp zu, die die undankbare Aufgabe hatte, das Lager nach solchen Informationen abgehen zu müssen. Sie sah erschöpft aus, selbst wenn sie inzwischen gelernt hatte, einen guten Teil ihrer Arbeit zu delegieren. „Mhm, ja, es war eine ruhige Nacht. Ich habe zweiunddreißig gezählt, die ins Dunkel zurückgekehrt sind.“ „Wie viele von ihnen Kinder?“ „Alle bis auf einen.“ Irish nickte traurig und stimmte einen kurzen Gesang aus Piepstönen an, in den die umstehenden einfielen. „Hast du mehr?“ Tsyrp nickte: „Nachdem auch die letzten aufgeschlossen haben, sind seit vorgestern einhundert und zwei Babys zur Welt gekommen.“ „Schon bereinigt?“ als Tsyrp zum ersten Mal dieses Wort verwendet hatte, hätte Irish ihr am liebsten in die Schnauze gebissen. Es machte aus den gestorbenen Jaltus Zahlen. Doch schon nach einer Woche hatte Irish begonnen, genauso zu sprechen. Manches ließ sich nur ertragen, wenn man es als Zahlen betrachtete. „Nicht endgültig. Es könnte sich noch ändern.“ Und wenn man sich gerade in die Sicherheit der Zahl begeben hatte, wurde man von der Zählerin daran erinnert, dass es sich eben doch um Jaltus handelte, die sich nicht so einfach zählen ließen. „Danke, Tsyrp. Du hast wie immer gute Arbeit geleistet.“ Irish schnüffelte demonstrativ in Tsyrps Richtung. Die Zählerin erwiderte die Geste in Dankbarkeit. Die Anführerin richtete ihre Aufmerksamkeit auf die drei Rudelführer, die für die Kundschafter verantwortlich waren. „Wie viele sind nicht zurückgekommen?“ Sie hasste diese ganze morgendliche Prozedur der Berichterstattung. In ruhigen Momenten wusste sie, dass ihr Volk von ihr erwarten würde, dass die toten Babys am schwersten auf ihr lasten mussten. Aber jedes verlorene Kundschafterrudel wog schwerer auf ihr als 30 tote Kinder. Vielleicht, weil sie sich ihnen verbunden fühlte. Die drei Rudelführer tauschten ein letztes Mal blicke untereinander, bevor Yepri, der einzige Mann unter ihnen, antwortete. „Alle haben sich zurückgemeldet.“ Irish kannte diese Blicke. Sie hatte sie bei ihren Jägern gesehen, wenn sie etwas nicht erzählen wollten, dass offensichtlich wichtig war. Sie war sich sicher, dass niemand ihr Ohrenzucken entgehen konnte, und hoffte, dass die drei diese Aufforderung verstanden. Einen Moment lang wanden sie sich noch, brachen dann jedoch ein. „Cseirps Rudel ist gesehen worden.“ „Cseirps hatte den Süden?“ Schüchternes Nicken. „Was ist passiert?“ „Ein Menschenkind ist aus einem Baum gefallen und hat sie gesehen. Es ist wohl nichts passiert.“ „Nur das Kind?“ Erneut wanden sie sich. „Wohl auch ein Mann, der dazukam.“ „Aber kein Kampf, oder?“ „Nein, davon haben sie nichts erzählt.“ „Ist das alles?“ Wieder ein Nicken. „Dann müssen wir uns mehr nach Norden wenden. Wie sieht es mit dem Essen aus?“ Erneut wandte sich ihre Aufmerksamkeit ihrem nächsten Berater zu. „Unverändert, Treiske Treiske.“ Schon wieder. Seit einiger Zeit waren einige Mietglieder ihres Volkes dazu übergegangen, sie Führerin oder auch Große Führerin zu nennen. Sie versuchte dagegen zusteuern. Sie hatte sogar versucht, es zu verbieten, aber es schien jedoch sinnlos zu sein. „Nicht, Kvirik. Ich bin keine Treiske. Schon gar keine große. Ist dir schon etwas eingefallen.“ „Nein, wir fangen die Tiere des Walds, graben alle Wurzeln aus, die wir finden können. Die Würmer und Fliegen sind leider schon unter der Erde. Wenn der Winter kommt werden wir kaum noch etwas haben. Wenn wir eine Weile an einem Fluss bleiben könnten, könnten wir fischen. Andernfalls geht uns bald das Essen aus.“ „Wir werden eine Lösung finden. Noch geht es, oder? Wir müssen nur schnell vorankommen.“ Sie heuchelte Zuversicht, denn in Wirklichkeit glaubte sie nicht mehr daran, dass sie ihr Volk retten konnte.



Feen 2: Sheka, Breka, Mei-neke

Mittwoch, 27. August 2014, 10:35
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Imanahm war die Hochburg der Verlorenen und Verzweifelten. Hierher kamen alle, die keine Hoffnung mehr besaßen, die hatten fliehen müssen, die nicht mehr wussten, wohin sie sonst gehen sollten. Diese Stadt zog sie alle an, denn hierher kamen auch die Händler und Pilger. Viele Besucher bedeutete viele Bedürfnisse, die befriedigt werden mussten. Köche, Träger und Gastwirte standen auf der lichten Seite derjenigen, die diese Aufgaben übernahmen, Prostituierte, Mörder, Spione und Diebe auf der dunklen. Einige überlebten, verdienten ihren Unterhalt, bei anderen konnte man es kaum als Überleben bezeichnen, wenn sie auch nicht tot sein mochten. Viele mehr starben.

An Hunger.

An Kälte.

An Hitze.

Aber die meisten starben an der Stadt.

 

Sheka, die sich jetzt Mei-neke nannte, konnte sich bessere Orte für sich und ihre beiden kleinen Kinder vorstellen. Auch für die Geburt ihres Ungeborenen mochte es schönere Städte geben, aber auch schlechtere. Enk hatte ihr berichtet, dass es in dieser Stadt sehr gute Hebammen gab. Sie hoffte nur, dass sie, wenn es so weit war, noch das Geld haben würde, um sich diese Frauen leisten zu können. Bisher hatte sie Glück gehabt. Niemand hatte versucht sie zu berauben, wenn man von einem Taschendieb in einer kleinen Herberge absah. Der junge Mann hatte ihren Wanderstab zu spüren bekommen, nicht ihre bevorzugte Waffe, aber das Schwert, mit dem die meisten hochgestellten Frauen ihres Clans umzugehen lernten, wäre zu auffällig gewesen. Sie hatte ihr Schwert in ihrem Gepäck untergebracht. Enki oder Shek saßen meist darauf. Die beiden wussten nichts von dieser Klinge, denn selbst in ihrem Zuhause hatte sie sie immer in der Kammer unter dem Bett verborgen, eingewickelt in Tücher. Sie hatte es nur gelegentlich herausgeholt, um es zu ölen. Sie wusste, dass dieses Schwert sie verraten konnte, so wie Enk es gewusst hatte, als er sie ihr geschenkt hatte. Sheka hatte nie herausgefunden, wo die Klinge her kam. Trotzdem konnte sie sehen, dass sie gut gearbeitet war, konnte spüren, wie gut sie in der Hand lag. Die Waffe war schmucklos, nicht einmal eine Gravur. Ihr Ehemann hatte ihr gestanden, dass er eigentlich noch seine Liebe hatte einritzen lassen wollen, das Risiko, entdeckt zu werden, jedoch zu groß gewesen wäre. So hatte sie ihm selbst einen Namen gegeben. Enk hatte halb im Scherz „Bettleger“ vorgeschlagen, für die größte Tat, die es bisher begangen hatte. Sie hatte es stattdessen „Mannritzer“ genannt, ihm zum Trotz und nachdem, was sie hoffte, dass sie damit tun würde. Ein guter Name, fand sie, ein stolzer Name, den schon andere Klingen getragen hatten. Manchmal, wenn sie in den letzten Monaten neben dem Ges gegangen war, hatte sie das lange Paket unter dem Gepäck ertastet und sich nicht nur an ihren Mann, sondern auch an ihr Leben als Fürstin der Kariaks erinnert. Ihr Gesicht blieb ausdruckslos, aber in ihr entzündeten diese Erinnerungen eine Sehnsucht, die ihr das Herz zu verbrennen schienen.

So wertvoll ihr das Schwert war, es war doch nutzlos, solange sie es nicht an der Seite trug. Deshalb war sie im ersten Dorf, in dem man sie nicht kannte, zum Schmied gegangen und hatte sich drei Dolche gekauft. Der Mann war nur leidlich talentiert und die Waffen waren mehr überlange Brotmesser, aber sie würden ihre Aufgabe erfüllen, wenn sie sie benötigte.

Einen Dolch trug sie offen an ihrem Gürtel, einen unter ihrem Rock, einen dritten, kurzen, ohne Parierstange, band sie sich an den Unterarm. Dolche waren keine Schwerter und ihr Training an ihnen nur gering, sie zählte jedoch auf das Überraschungsmoment, den die beiden versteckten Dolche ihr gewährten.

Den Schmied hatte sie auf dem Weg verlassen, auf dem sie auch gekommen war, um später durch Gehölz und Felder ihren eigentlichen Weg fortzusetzen. Enk hätte ihn vermutlich umgebracht, verscharrt und die Schmiede abgebrannt. Vielleicht hätte er sogar die Nachbarn getötet, die sie hatten ankommen sehen. Mei-neke hatte noch nicht getötet und hoffte, dass es auch nicht so weit kommen würde.

Nun war sie jedoch in Imanahm. Diese Stadt war größer, als jeder Ort, den sie jemals gesehen hatte. Sie hatte von den Drachenfestungen gehört, die sich angeblich majestätisch an die Berghänge schmiegten. Es hieß, dass dort tausende von Menschen Platz finden könnten, genau wie in Imanahm. Mei-neke stellte sich jedoch eine solche Festung sauberer vor. Und auch schöner. Als ein Bauwerk, an dem nicht ständig neue Gebäude von Menschen angeheftet wurden, die sich keine Gedanken um die Stile ihrer Vorfahren gemacht hatten.

Auf der Wanderung waren sie an Fasanal vorbeigekommen. Sie hatten die Stadt nur umrundet und beobachtet, wie Menschen durch die großen Tore ein- und ausgingen. Sie hatte den Kindern von einem fahrenden Händler ein paar Honigstangen gekauft. Die beiden waren so glücklich gewesen. Aber die Stadt war ihr zu voll gewesen. Damals war sie noch Breka gewesen. Breka würde wohl nie bereit sein, eine solche Stadt zu betreten. Außerdem wusste sie, dass einige Händler aus Fasanal jenes Dorf regelmäßig besuchten, in dem sie die letzten Jahre gelebt hatte und dass sie doch nicht Heimat nennen wollte. Von einigen ihrer Bekannten dort hatte sie sogar gehört, dass sie schon einmal den weiten Weg gemacht hatten, um einen der größeren Tempel aufzusuchen. Deswegen hatte sie mit Enk besprochen, dass sie zur größten ihm bekannten Stadt wandern würden, weit weg von allen Menschen, die sie kannten.

Und nun waren sie hier. Ohne Arbeit, ohne feste Unterkunft, schwanger und mit zwei Kindern, die mit vier und fünf Jahren zu gebildet waren für Landeier. Sie selbst, die zu stolz für eine arme Bäuerin war. Mit zu viel Geld und einem Ges, als wären sie Diebe oder vertriebene Patrizier. Sie versuchte so gut es ging, ihren Wohlstand zu verheimlichen. Sie war jedoch fremd in dieser Stadt, besaß keinen Leumund, war eine einsame Schwangere mit zwei Kindern, was für viele bedeutete, dass sie nur eine Hure sein konnte.

Momentan übernachteten sie in einem kleinen Zimmer über dem Stall, in dem ihr Ges untergebracht war. Sie versuchte gerade das Tier zu verkaufen, es war jedoch zu abgemagert, um in dieser Stadt einen Käufer finden zu können. Außerdem stand der Winter bevor und Ges waren keine nützlichen Tiere in der Kälte.

Sie brauchte eine Arbeit und einen Ort, an dem sie ihre Kinder lassen konnte. Sie zog zu viel Aufmerksamkeit auf sich, wenn sie Geld ausgab, für das man sie nicht arbeiten sah. In dieser Stadt jedoch schien es für fremde Frauen kaum ehrliche Arbeit zu geben, vor allem nicht für Frauen, die kein Handwerk erlernt hatten. Und was die Kinder anging, schien es in dieser Stadt nur drei Möglichkeiten zu geben, die Kinder den Tag über zu beschäftigen. Die erste stand nur den gehobenen Schichten offen, den Patriziern, die ihre Kinder Kinderfrauen und Lehrern übergaben. Die zweite war den Kindern der Spezialisten vorbehalten, die sich wenigstens Zeitweise eine Schule leisten konnten und anschließend ihren Kindern ihr eigenes Können beizubringen versuchten. Die letzte mussten alle anderen wahrnehmen, und sie bestand schlicht daraus, die Kinder sich selbst zu überlassen. Enki und Shek waren klug, aber die Straße war kein Ort für die beiden kleinen, die es gewohnt waren, auf Feldern und in Wäldern zu spielen. Der Weg hatte die kleinen hart gemacht, sie Entbehrungen gelehrt und ihnen gezeigt, wie sie sich gegen einige Ungelegenheiten wehren konnten. Die Stadt war jedoch etwas anderes. Die Gefahr hier war verborgener und Kinder, die nicht wussten, wie sie danach Ausschau halten sollten, waren schnell für immer verloren. Mei-neke musste daher eine Arbeit finden, bei der sie ihre Kinder mitnehmen konnte. Hinzu kam, dass sie dringend eine richtige Wohnung benötigten. Der Stall war besser als die Straße. Die Ges und das gelegentliche Bataga hinterließen ihre Wärme im Stall. Und das, was sie darüber hinaus hinterließen, stank zwar, wärmte jedoch noch einmal mehr. Radin, der Besitzer des Stalls hatte sie aufgenommen, als Mei-neke ihm ihre Geschichte erzählt hatte: Wie sie mit ihrer ganzen Familie, ihrem Mann und den beiden Kindern, aus dem Norden gekommen war. Wie sie überfallen worden waren. Wie ihr Mann die Verbrecher aufgehalten hatte. Wie sie seitdem auf sich allein gestellt gewesen waren. Enk war diese Geschichte mit ihr mehrmals durchgegangen, so gut es in der kurzen Zeit möglich gewesen war. Auf dem Weg hatte sie sich immer wieder vorgestellt, wie sie diese Mär der einen oder anderen Person erzählte. Sie hatte geübt, aber bei den ersten Malen war sie kläglich mit ihren Lügen gescheitert. Glücklicherweise waren die Zuhörer nur Bauern und kleine Händler gewesen, denen ihre Erzählung gleichgültig gewesen war. Einige hatten ihr trotzdem Unterschlupf gewährt, andere hatten die Nase gerümpft und sie weggeschickt. Bei Radin war sie jedoch überzeugend gewesen. Vielleicht hatte geholfen, dass sie ihr Ges selbst versorgt hatte und bereit war, im Stall zuzupacken.

Dennoch stand sie jetzt in ihrem besten Kleid vor einem der großen Patrizierhäuser. Sie blickte an sich herunter bevor sie anklopfte. Sie mochte ihr Kleid. Der Stoff war aus feiner Wolle gewoben mit leuchtenden Farbfäden durchzogen, die ein schlichtes Muster ergaben und, wenn man genau hinsah, stilisierte Tiere formten. Dort wo sie herkam, wäre es der Neid vieler Frauen gewesen. Hier jedoch brauchte sie nur einmal auf die Straße zu blicken um zu sehen, dass sie jeder hier für ein Landei halten musste. Dies machte ihr schmerzhaft bewusst, wie wenig sie über die Sitten und Bräuche in dieser Stadt wusste. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie die Stelle einer Dienerin zur Genüge ausfüllen können würde, so fremd waren ihr die Umgangsformen, so anders der Codex, nach dem die Patrizier hier lebten, gegenüber dem, dem der Adel in ihrer Heimat folgte.

Sie ballte ihre Fäuste, bis die Gelenke weiß hervortraten. Mit einem Schlucken, dessen Klang an ein leises Grunzen erinnerte, versuchte sie, ihre Angst herunterzuschlucken. Ein letztes Mal strich sie ihr Kleid glatt und klopfte. Sie wiederholte den Vorgang noch zwei Mal, bis sich endlich die Tür öffnete.

Ein junges Ding, ihr erstes Blut war vermutlich vor nicht allzu langer Zeit geflossen, öffnete die Tür und blickte zu ihr auf und anschließend auf das Kleid.

„Womit kann ich euch dienen, Herrin.“ Sie verneigte sich verwirrt.

„Mögen die Götter deine Arbeit segnen. Aber ich bin keine Herrin. Ich bin auf der Suche nach Arbeit.“

Ein erneuter Blick auf ihr Kleid.

„Ich weiß nicht. Ich müsste die Hausdame fragen.“ Das Mädchen rührte sich jedoch nicht von der Stelle.

„Könntest du sie bitte fragen?“ Sie nickte und ging zurück in die Dunkelheit des Hauses, ohne die Tür hinter sich zu schließen.

 

Ihre Füße taten weh, ihre Schultern waren verspannt, sie war erschöpft. Erschöpfter als nach ihren Tagen der Wanderungen. Sie hatte acht Häuser besucht, keine große Zahl. Aber jeder Besuch hatte bedeutet, dass sie misstrauisch hereingelassen wurde, befragt, abschätzig betrachtet, geprüft, getestet und schließlich wieder, nicht zu unfreundlich, herausgeschoben wurde. Und immer der Blick auf ihr Kleid, das fremd, aber zu fein war, um einer Dienerin zu gehören, oder viel mehr, zu fein für eine ehrliche Dienerin war. Mit ihrer Geschichte gab sie wenigstens eine Erklärung, warum ihr Gebaren nicht dem einer Dienerin entsprach. Diese war jedoch nicht ausreichend, um die Hausdamen, Hausdiener oder wer auch immer sich bemüßigt fühlte, mit ihr zu sprechen, zu überzeugen. Angehört hatten sie sich die Geschichte alle. Sie hatten nachgefragt, nach Löchern und Ungereimtheiten gesucht und, soweit Mei-neke es sagen konnte, keine gefunden. Irgendwann hatte auch jeder nach ihren Befähigungen gefragt, als wäre es eine unwichtige Nebensache. Was konnte sie darauf schon sagen? Sie hatte einen eigenen Haushalt geführt, jedoch nichts, was mit den Häusern in dieser Stadt zu vergleichen war. Sie konnte kochen, aber nichts, was man hier gegessen hätte. Sie hatte Kinder betreut, aber es waren ihre eigenen. Wie sie es drehte und wendete, sie konnte ihnen keinen überzeugenden Grund geben, sie einzustellen. Vielmehr hatte sie das Gefühl, dass die Leute, die sie aushorchten, nicht einmal daran interessiert waren, jemanden einzustellen, sondern nur ihre Geschichte hören wollten. Und am Ende war immer dieser Blick auf das Kleid, einmal, wenn sie Luft holten, um sie auf die Straße zu setzen, ein letztes Mal, sobald sie vor der Tür stand.

Sie war erschöpft und niedergeschlagen. Ohne Hoffnung, dass ihr Leben sich jemals wieder zum Besseren wenden würde. Aber Hoffnung war etwas für jene, die kein Ziel, keine Verpflichtungen hatten. Bevor sie den Stall betrat atmete sie noch einmal tief durch, richtete sich auf und verhärtete ihre Miene. Morgen würde sie ein schlechteres Kleid anziehen und an die nächsten Türen klopfen.



Feen 2: Pethen und Hylei in Imanahm

Sonntag, 24. August 2014, 21:21
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Hylei hatte sich schnell erholt, auch wenn die Hälfte ihres Gesicht immer noch blau und grün war. Als sie in Imanahm eintrafen, war es abgeschwollen und erregte kein Aufsehen. Sie wirkte nicht mehr entstellt, aber die Verfärbungen hatten zusammen mit der Farbe, die sie sich beide ins Gesicht geschmiert hatten, den überraschenden Effekt, dass ihre Schönheit vernebelt wurde.

„Jetzt sind wir am Meer.“

„Noch nicht.“

Pethen deutete auf die große, uferlose Wasserfläche, die sie vom Hafen aus sehen konnte.

„Wenn das nicht das Meer ist, dann weiß ich nicht, was es davon unterscheidet. Woher weißt du, dass es nicht das Meer ist?“

„Ein Freund hat es mir erzählt.“

Mehr würde er nicht aus ihr herausbekommen, denn so verliefen ihre Gespräche fast immer, wenn man sie denn Gespräche nennen wollte. Wenn sie auf dem Weg waren, konnte er gut damit leben, nicht sprechen zu müssen. Sie liefen schnell, sie liefen lange, vor allem, nachdem er ihre Verfolger jetzt stärker spürte. So vergingen die Tage meist ohne ein Wort, bis sie abends ihr Lager bereiteten. Manchmal hatte er das Gefühl, dass Hyleis Hände mehr sagte, als ihr Mund, denn die meisten Anweisungen auf dem Weg waren Gesten, die den Weg wiesen oder zur Vorsicht mahnten. Während sie mit den Pilgern gewandert waren, hatte ihr Tag mit einem Lager in einem Stall geendet. Nachdem sie wieder alleine gewesen waren, hatten sie wieder auf frostigem Böden abseits der Straße geschlafen. Und sie hatten ihr Training wieder aufgenommen, aber auch da waren die Gespräche auf das Nötigste beschränkt gewesen. Was bedeutete, dass Pethen ihr viel erklärte, wenn es um Magie ging, und sie ihm knappe Anweisungen gab, wenn sie ihm Kämpfen beizubringen versuchte. In der Stadt mussten sie selbstverständlich von ihrem Training absehen, obwohl es schien, dass sie für den Moment mehr Zeit dafür haben würden, als die letzten Wochen und Monate zusammen. Zumindest, bis sie entschieden hatten, wohin sie als nächstes fliehen sollten.

Während sie die Wellen betrachteten, die von dem kalten Wind ans Ufer getrieben wurden, grübelte Pethen über ihre nächsten Schritte nach. Sie brauchten eine Unterkunft. In der Stadt fielen sie zu sehr auf, wenn sie sich einfach in einer Sackgasse ein Lager bereiteten. Aber noch viel dringender benötigten sie Nahrung, was wiederum bedeutete, dass sie Geld besorgen mussten.

Pethen war kein Dieb. An dieser Überzeugung hielt er fest, obwohl sie unterwegs mehrfach sogar in Höfe eingebrochen waren, um sich das nötigste zu besorgen. Eigentlich respektierte er den Besitz anderer. Bei Hylei war er sich andererseits sicher, dass ihr der Besitz anderer gleichgültig war. Oder nein, es sollte wohl richtiger heißen: der Besitz der normalen Menschen. Pethen konnte sich nicht vorstellen, dass sie etwas von ihm oder irgendeinem Feenling stahl noch wusste er von irgendwelchen Diebstählen in der Magierzuflucht.

Trotzdem hoffte er, dass sie nicht an diesem Ort auf die Idee kommen würde, auf Diebestour gehen zu können. Es gab zu viele Menschen, die sie sehen oder aufhalten konnten und vor allem konnten sie nicht einfach in den Büschen untertauchen, um den Verfolgern zu entkommen.

So blieben ihnen nur zwei Möglichkeiten, an Geld zu kommen, Betteln oder eine Arbeit annehmen. Betteln verlangte, dass sie sich an eine Straße oder einen Platz setzten und sich allen offenbarten. Ganz davon abgesehen, dass er sich nicht sicher sein konnte, ob Betteln in dieser Stadt erlaubt war, war ihm nicht wohl dabei, sich jedem zu zeigen und er konnte sich nicht vorstellen, dass Hylei es wollen würde.

Aber welche Arbeit konnten sie schon annehmen. Er war der Sohn eines kleinen Pachtbauern und von Hylei wusste er nicht mehr, als dass sie sich gut im Wald auskannte und besser mit Magie umgehen konnte, als jeder andere Schüler der Zuflucht. Vielleicht konnten sie irgendwo im Hafen beim Beladen helfen oder irgendeine andere ungelernte Arbeit übernehmen. Aber vermutlich müsste er sich eine andere Arbeit als Hylei suchen, was ihm ganz und gar nicht gefiel. Er gab sich die Schuld daran, dass sie vor wenigen Tagen von einigen Pilgern gefangen genommen worden waren. Seitdem fühlte er sich für sie verantwortlich. Und wenn er sie aus den Augen verlor, konnte er sie noch weniger beschützen, als er es bisher getan hatte. Allerdings durfte sie niemals erfahren, dass er auf sie aufzupassen versuchte. Sie würde ihn vermutlich nicht nur mit ein paar knappen aber verletzenden Worten davon kommen lassen.

Es stellte sich nur die Frage, warum sie hier blieben, an einem Ort, an dem es nur so von Priestern wimmelte, wo sie den Pilgern so leicht erneut begegnen konnten, wo die Gefahr, dass jemand Hylei für das erkannte, was sie war, größer war, als an jedem anderen Ort. Man hatte sie auf dem Weg hierher in einer Scheune enttarnt. Einem Ort, den sie mit niemandem außer ein paar Ges geteilt hatten.

Und die Frage war leicht zu beantworten: Es wurde Winter. Es hieß, im Süden wäre es wärmer, bisher hatten sie jedoch nichts davon gespürt. Vielleicht wurde es besser, wenn sie noch weiter liefen. Allerdings hätten sie dafür ein Boot finden müssen, dass sie über den Großen Jahm oder seine gewaltige Mündung bringen würde. Dabei war es nicht einmal schwer ein solches Boot zu finden, wie sie bereits herausgefunden hatten. Nur bezahlen konnten sie es nicht.

„Was machen wir jetzt?“

„Wir verstecken uns.“

„Du weißt, dass wir uns Geld beschaffen müssen?“

Hylei nickte, sah aber immer noch weiter aufs Wasser hinaus. Der Angriff auf sie, die Schläge durch den Söldner, ihr entkommen, nur dank der Gnade derselben Söldner, hatten ihre Spuren bei ihr hinterlassen, mehr als nur die abheilenden Schwellungen, die vielleicht einige ihrer am wenigsten schmerzhaften Erinnerungen waren.

Sie versuchte nicht ihrem Weggefährten die Schuld für diese Schmerzen zu geben. Er war jung, unerfahren und, wenn es um etwas anderes als die Magie ging, ein Idiot. Seine Kampfübungen machten zwar Fortschritte, wenn er jedoch nicht auf seine Magie zurückgreifen konnte, war er nutzlos. Wenn Meister Zelon ihr nichts verheimlicht hatte, hatte er bisher noch niemanden getötet und Hylei glaubte nicht, dass er es konnte. Manchmal fragte sie sich, warum sie ihn überhaupt mitschleppte. Wenn er nicht immer noch mehr über Magie wissen würde als sie, sie hätte ihn bereits am Wegesrand liegenlassen.

Hylei gelang es ein weiteres Mal, wie auch schon die letzten Tage, nicht zu weinen.

 

Wie Pethen vermutet hatte, wollten die Meister im Hafen einer Frau keine Arbeit geben. Es hatte nur noch gefehlt, dass sie sie ausgelacht hätten. Er selbst hingegen wurde gerne beschäftigt, weil er billig war und die Arbeitskräfte knapp wurden. Jemand hatte anscheinend viel Geld auf den Tisch gelegt, um eine größere Zahl Schiffe bauen zu lassen, und in den Wintermonaten vermieden viele Männer die Knochenarbeit am Wasser, wenn sie es sich irgend leisten konnten.

Der Schiffbau sorgte am Ende auch für eine Anstellung für Hylei, die bei einem Seilmacher unterkam. Beides waren Arbeiten, die kaum das täglich Brot einbrachten, aber dafür sorgten, dass sie ein Dach über dem Kopf hatten, wobei der Feenling es besser getroffen hatte, da sie bei einem Meister im Haushalt unterkam und Pethen nur in einer Gemeinschaftsunterkunft in einer der Baracken. Er wollte es ihr aber nicht neiden, war er doch dankbar dafür, dass sie beide so über den Winter kommen würden. Nur fragte er sich, wie sie es schaffen würde, unentdeckt zu bleiben. Wie konnte sie über Monate verbergen, wie schön sie war, wenn sie beim letzten Mal schon nach einer Woche durchschaut worden waren?

Wichtiger für ihn war jedoch, wie er sie dazu bringen konnte, ihm wieder zu vertrauen?

 



Feen 2: Enk kehrt zurück

Freitag, 22. August 2014, 21:04
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Er war wieder auf dem Weg nach Imanahm. Er hatte nicht sofort seinen Karren wenden können, nachdem die Karawane an ihm vorübergezogen war. Lanei hatte immer noch in seinem Versteck unter den Kisten gelegen. Enk hatte ihn schlechterdings einfach aussetzen können, was er bedauerte. Lanei schien ein anständiger Kerl gewesen zu sein, aber das Risiko, dass er irgendjemandem von seiner Flucht erzählen würde, war einfach zu groß gewesen. Enk hatte ihn schnell getötet, so schmerzlos, wie es mit einem kleinen Messer möglich war. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er sich dabei nicht wohl gefühlt. Normalerweise konnte er sich ein Opfer in Agonie auf dem Boden wälzen sehen, ohne etwas dabei zu empfinden. Seitdem er selbst Frau und Kinder zurück gelassen hatte, die jetzt ohne ihn zu Recht kommen mussten, verband ihn etwas mit Männern wie Lanei. Deswegen musste er zum ersten Mal an diejenigen denken, die durch seine Taten ohne einen geliebten oder ihnen wichtigen Menschen auskommen mussten.

Er hatte dem großen Mann vielleicht hundert Schritte vom Weg entfernt eine Luftbestattung gegeben. Es war riskant und er hätte auch die Zeit gehabt, ihn zu begraben. Aber in Ermangelung der Werkzeuge und in Anbetracht dessen, dass er seinen Karren dafür eine ganze Weile hätte unbewacht am Wegesrand stehen lassen müssen, hatte er die schnellste Methode gewählt, die Leiche zu entsorgen.

Auf dem Weg zurück zur Stadt hatte er die Kisten mit verschiedenen Waren gefüllt, die er günstig erwerben konnte. Es war besser, in der Stadt eine gewisse Tarnung aufrechterhalten zu können, denn diesmal sah sein Plan weniger elegant aus und sein Aufenthalt mochte länger dauern, als es ihm recht sein konnte.

Er wollte Estron finden, deswegen war er ursprünglich nach Imanahm gekommen. Denn hier wurden alle Verhörprotokolle der Priester Veshtajoshs gelagert. Auf diese Weise hatte er von Lanei erfahren, dem man unter der Folter entlockt hatte, dass Estron, der Keinhäuser, ihn besucht hatte. Enk kannte den Mann, war einst mit ihm gewandert, aber das war nicht das eigentlich Interessante gewesen. Lanei hatte etwas gesagt, dass für die Priester anscheinend nicht wichtig gewesen war. Gründlich wie sie waren, hatten sie es trotzdem notiert. Es war so eine Kleinigkeit, dass selbst er es beinahe überlesen hatte: Der Besucher hätte sich mit einem neuen Freund treffen wollen, jemand wichtigem, wie Lanei an anderer Stelle gesagt hatte. Soweit war es nicht bemerkenswerter als andere erzwungene Geständnisse gewesen. Nur dass Lanei beschrieben hatte, wie aufgeregt Estron gewesen sein musste, hatte Enks Denken angetrieben. Estron war immer neugierig und gespannt auf alle neuen Begegnungen gewesen. Wenn jemand, der ihn kannte, jedoch betonte, dass der Keinhäuser aufgeregt war, dann hatte dies etwas zu bedeuten.

Und dann war er Estron auf der Straße begegnet. Er wusste, dass auch sein alter Weggefährte ihn erkannt hatte. Trotzdem hatten beide kein Wort gesagt. Enk wusste, warum er selbst still geblieben war, hätte er doch ansonsten seine Verkleidung verraten. Aber Estron hatte das Gespräch ebenfalls vermieden, obwohl nichts zwischen ihnen stand, soweit Enk es wusste.

Doch wichtiger an dieser Begegnung war gewesen, dass sie überhaupt stattgefunden hatte. Natürlich war es nicht unmöglich, dass man sich ein zweites Mal im Leben begegnete. Aber mit dem Verdacht, den Enk hegte, und all den anderen Umständen seiner Reise, war er sich sicher, dass dies kein Zufall sein konnte. Es waren Dinge in Bewegung geraten, von denen Enk wusste, dass er keine Kontrolle darüber hatte, und sowohl Estron als auch er selbst wurden von ihnen mitgerissen. Er zweifelte nicht daran, dass sie beide auch selbst neue Anstöße geben würden, aber wer waren sie schon, wenn sie sich mit den Drachen messen mussten, die ihn zu einem Teil ihres Plans gemacht hatten. Ein Gedanke, der Enk nicht gefiel, der ihn aber bereits seitdem er seine Familie zurückgelassen hatte, verfolgte. Am liebsten wäre er geflohen, hätte sich versteckt, denn das, was die Drachen bezweckten, konnte nichts Gutes bedeuten, weder für ihn selbst, noch für die Völker, die in ihrem Herrschaftsbereich lebten. Aber gleichgültig, wie groß diese vorgestellte Gefahr sein mochte, die reale Gefahr für seine Familie war größer.

So machte er weiter und dachte an seine Frau und seine beiden Söhne, wann immer er sich einen ruhigen Augenblick zu gönnen wagte. Er hatte wenig Hoffnung, seinen Auftrag zu erfüllen. Selbst wenn es ihm gelang, Shaljel Githon zu finden – und um niemand anderen konnte es sich bei Estrons besonderen Freund handeln – dann würde er doch versagen, denn gegen einen Feen konnte er nicht gewinnen. Nach allem, was man wusste, schliefen Feen nicht, waren immun gegen Gifte, bewegten sich schneller und waren stärker als jeder Mensch. Außerdem hieß es, dass sie große Magier seien. Bei Vielem von dem, was man über die Feen sagte, konnte Enk natürlich nicht genau wissen, ob es wahr war, seine einzige Begegnung mit einem Feen hatte ihm jedoch klar gemacht, dass er ihnen körperlich aussichtslos unterlegen war. Ein Hinterhalt mochte ihm den entscheidenden Vorteil verschaffen, doch eigentlich hoffte er nur, dass die Drachen ihr Wort halten würden und seine Familie verschonen würden.

Gleichgültig, ob er seinen Auftrag zu Ende führte oder starb, seine Familie würde sicher sein.

Die Wache am Stadttor von Imanahm meinte, den zottigen Mann auf seinem Karren wiederzuerkennen, wich aber dem grimmigen Blick aus, der ihr vom Kutschbock zugeworfen wurde. Das war nicht der schusselige Bauer, der vor vielleicht zwei Wochen die Stadt verlassen hatte. Er blickte dem Karren nach, der in Richtung des Marktplatzes verschwand. Sein herausströmender Atem war so laut, dass sein Kollege, der sich gerade um eine kleine Pilgergruppe gekümmert hatte, zu ihm hinüberblickte. Der Wächter erwiderte den Blick und man konnte in seinem Gesicht lesen, dass er meinte, nur knapp dem Tod entronnen zu sein



Feen 2: Ohnfeder erlebt verschiedene Gefühle

Dienstag, 19. August 2014, 22:45
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Ohnfeder erholte sich nur langsam von den Strapazen vor zwölf Tagen. Niemand konnte es ihr verdenken, auch wenn die anderen Frauen sie immer wieder dazu zwangen, ihre Kinder anzulegen und zu stillen. Natürlich konnte sie unmöglich sechs Babys alleine ernähren, auch wenn die beständigen Flecken von überschüssiger Milch auf ihrem Bett etwas anderes zu behaupten schienen. Ihre Kraft reichte dennoch kaum aus, um eigenständig im Haus herumzugehen.

Treureigen war die ganze Zeit bei ihr geblieben. Sie fehlte ihren Eltern auf dem Hof, aber diese besonderen Umstände machten ihre Abwesenheit verzeihlich und die Hilfe, die sie ihnen senden konnte, sorgte dafür, dass die Arbeit trotzdem getan wurde. Denn Treureigen besaß inzwischen einen gewissen Einfluss unter den Aleneshi, nicht nur unter denen, die zu dieser Gemeinschaft gehörten, sondern auch unter denjenigen, die den Pilgerpfad bereisten und sogar bei den Unterirdischen. Es fiel ihr immer noch nicht leicht, ihre alte Gewohnheit, sie Zurückgebliebene zu nennen, abzulegen, da sie jedoch nachts beinahe genauso oft den Pilgern aus den Höhlen an der Tür gegenüberstand wie Tagsüber den anderen Pilgern, gab sie sich große Mühe.

Glücklicherweise wurden die meisten Gläubigen von den rauen Kerlen, die Feldzieher um das Haus postiert hatte, abgewiegelt. Ohnfeder zu liebe hatte sie anfänglich versucht, das Haus vollständig gegen die Fremden abzuriegeln, die seit Wochen vor dem Haus lagerten. Sie waren ärgerlich, aufdringlich, und nahmen keine Rücksicht, weder auf die Bewohnerin, die sie angeblich verehrten, noch auf die Pilger, die weiterhin den Pfad zum Reshan suchten, für die dieser Hof immer eine Anlaufstelle und ein Lagerplatz gewesen war auf dem letzten Abschnitt auf ihrer Reise in die Höhlen.

Leider wurden es immer weniger, die die alte Pilgerreise in die Präsenz ihres Gottes antraten, und dafür immer mehr, die den kürzeren Weg zu seinen Kindern nahmen. Nach nur zwei Tagen, nachdem sich die Kunde von der Geburt anscheinend in Windeseile bis zur letzten Siedlung des Aleneshivolks herumgesprochen zu haben schien, war der Hof dermaßen überfüllt, dass einige der Frauen, die Treureigen bei der Pflege unterstützten, nicht mehr zum Haus vordringen konnten. Den ersten Tag mochten sich besonders die Ammen noch von der Aufmerksamkeit geschmeichelt gefühlt haben, schien doch etwas von der Heiligkeit der Kinder auf sie abgefärbt zu haben. Als die Pilger jedoch begannen, sie zu berühren und sogar fetzen aus ihrer Kleidung zu reißen, waren sie verängstigt geflohen. Für die mit Knüppel bewaffneten Wächter waren es einfach zu viele, um den Weg freihalten zu können.

Und so hatte Treureigen mit Ohnfeder gesprochen. Die Mutter der Gotteskinder und damit das heiligste Wesen, dass es nach dem Gott selbst in der Gedankenwelt der Aleneshi geben konnte, hatte nur die Augen geschlossen und im Stillen versucht, einen Ausweg zu ersinnen. Sie fand keinen.

„Mir fällt nichts ein, Treureigen. Ich will die Kinder nicht den verrückten dort draußen aussetzen.“

„Ohnfeder. Sie sind doch nicht verrückt. Das solltest du wirklich nicht sagen.“ Treureigen schämte sich ein wenig ihres Lächelns, das sie nicht unterdrücken konnte.

„Kann ich nicht? Diese stumpfen Trottel beten meine Kinder an, tun aber nichts, um ihnen zu helfen.“ Ohnfeder hatte sich kurz im Bett aufgestützt, ließ sich aber wieder zurück fallen.

Treureigen setzte sich neben ihre Freundin. „Wenn nichts passiert, werden sie immer weiter warten.“

Ohnfeder atmete resigniert aus. „Du hast wohl Recht.“ Sie schwiegen gemeinsam, während Ohnfeder Ideen im Kopf herumwälzte.

„Kannst du noch ein paar kräftige Rabauken hierher holen?“

„Wenn ich durch die Pilger komme.“

„Nimm dir einen von Feldziehers Jungs. Und achte d‘rauf, dass die Rabauken nicht besonders gläubig sind.“

„Ich hab da schon einige in der Nase.“

„Ich sehe, dass die Pilzschabers auf dich Abfärben.

„Weiß gar nicht, was du meinst.“ Sie lachten, Treureigen wurde aber schnell wieder ernst. „Und was soll ich ihnen versprechen, damit sie auch kommen?“

„Sag ihnen, dass sie die Priester und Pilger ärgern können.“

„Mhm, vielleicht reicht das ja. Aber ich glaube, ich verspreche ihnen auch ein anständiges Mal. Was sollen sie denn machen?“

„Also, ich hatte mir überlegt, dass wir die Kinder einmal am Tag zeigen. Die Rabauken schützen uns dabei und du, zwei Ammen und ich halten die Babys.“ Sie sah Treureigen an, die keine Reaktion zeigte. „Ich weiß, es ist kein großartiger Plan. Aber ich glaube, wir müssen langsam anfangen. Irgendwann werden wir vielleicht sogar durch die Menge gehen. Noch traue ich mich aber nicht vom Haus weg. Kannst du das verstehen?“

„Nur zu gut.“

„Und was meinst du?“

„Zu deinem nicht großartigen Plan? Ich denke, du hast Recht: es ist ein Anfang.“

 

Es dauerte zwei Tage, bis Treureigen eine Horde Jugendlicher zusammengesammelt hatte. Die pubertierenden jungen Männer wurden jedes Jahr auf eine Wanderschaft um die Gemeinschaften geschickt, damit ihr störender Einfluss auf die Gemeinden gerecht verteilt wurde. Diese Zeit wurde ihnen zugestanden, um sich auszutoben, bevor man von ihnen erwartete, ernsthafte, gläubige Aleneshi zu werden. Jeder wusste, dass man sich besser von ihnen fernhielt, wenn man nicht verspottet, gestoßen oder angespuckt werden wollte. Für die Menschen mochten dies kaum ernstzunehmende Vergehen sein, aber für die von Natur aus friedfertigen Aleneshi waren dies Verbrechen, die mit Stockschlägen bestraft werden konnten. Nur die Jugendlichen wurden davon ausgenommen.

Als sie eintrafen, bildete sich hastig eine Gasse zwischen den Pilgern. Gleichzeitig öffnete sich die Tür von Ohnfeders Hütte und Treureigen sowie drei andere Frauen brachten Krüge, Schüsseln und Teller hinaus.

„Los Jungs, lasst uns essen.“ Die zehn Rabauken beschleunigten ihre Schritte, bis sie vor der Hütte zu stehen kamen. Ohne weiteres Aufheben machten sie sich über die Speisen her. Als Schalen und Krüge geleert waren, stand der offensichtliche Anführer auf und wandte sich in einem überheblichen Ton an Treureigen, die die ganze Zeit über im Türrahmen gewartet hatte.

„Das war ganz nett, Gnädigste. Das reicht für heute. Sollen wir uns dann mal aufstellen? Wir haben nicht den ganzen Tag.“

Treureigen quittierte die Worte mit einem Augenrollen.

„Hockt euch bitte, in einem Halbkreis. Und schubst jeden, der näher kommt.“

Die Jungs kicherten gehässig, ließen sich aber Zeit, der Bitte Folge zu leisten. Sie schlenderten auf ihre Plätze und sackten einer nach dem anderen in die Hocke.

Treureigen ließ den Kopf hängen und hob ihn erst wieder, als der Anführer grummelte: „Geht’s jetzt endlich los?“

Sie straffte sich und blickte in die Hütte hinein, bis sie Ohnfeder nicken sah. Dann erhob sie ihre Stimme: „Die Frau Ohnfeder von den Grünhainen kommt jetzt heraus. Sie wird euch die Babys zeigen.“ Die Pilger, die nach und nach in Erwartung verstummt waren, als Treureigen sich aufgerichtet hatte, brachen zuerst in Gemurmel, dann in Geschrei aus, während sich die Nachricht weiter nach hinten verbreitete. Immer mehr erhoben sich und drangen nach vorne. Treureigen wich zurück zum Türrahmen, Die rauen Jungs blieben jedoch ruhig und der Anführer begann sogar zu lachen. Die Stimme hatte eine ungewöhnliche Wirkung auf die Pilger, die dem Haus am nächsten waren. Treureigen konnte sehen, wie ihre Gesichter sich vor Erschrecken verzogen. Sie hielten in ihrer Bewegung inne, konnten jedoch nicht verhindern, dass sie noch ein Stück weiter geschoben wurden. Die Verzögerung verstärkte die Unruhe in den Reihen der Andrängenden. Die Stimmen wurden lauter, so laut, dass den Frauen im Haus angst und bange wurde. Die Jugendlichen standen jetzt auf und machten sich bereit, zu schubsen und zu spucken. Ihren angespannten Rücken konnte man ansehen, dass sie die Situation inzwischen nicht mehr ganz so lustig fanden.

Plötzlich spürte Treureigen eine Hand an ihrer Schulter. Es war eine große Hand, die jedoch zitterte. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Ohnfeder hinter ihr stand. Sie schloss die Augen, denn sie fürchtete, dass sie versagt hatte. Sie hatte sich die Worte, die sie sagen wollte, die ganze Nacht durch den Kopf gehen lassen. Sie waren jedoch so ganz anders aus ihrem Mund gekommen, als sie in ihrem Verstand geklungen hatten. Jetzt waren die Pilger in Aufruhr, weil sie nicht die richtigen Worte hatte finden können. Ihretwegen musste Ohnfeder um ihr Leben fürchten.

„Mach dir keine Vorwürfe.“ Ohnfeder umarmte ihre Freundin von hinten. Sie kannte sie zu gut, um ihre Haltung nicht deuten zu können. „Ich habe doch gesagt, dass sie verrückt sind.“ Damit schob sie sich durch die Tür. Sie blieb kurz hinter den Rabauken stehen, die inzwischen unruhig hin und her blickten. So hatten sie sich den Spaß nicht vorgestellt. Dann verharrten sie. Vielleicht lag es daran, dass die Pilger plötzlich an ihnen vorbei sahen. Vielleicht spürten sie aber auch Ohnfeders Anwesenheit hinter sich, aber die Jungs gewannen neue Kraft und schubsten den einen oder anderen.

Sie blickten sich um und als sie Ohnfeders Gesichtsausdruck sahen, wichen sie zur Seite. Ihre Züge schienen noch freundlich zu sein, aber aus ihren Augen blitzte etwas, dass dem jede Freundlichkeit fehlte. Sie hatte frisch entbunden, was ihr eine fast übernatürliche Aura und ein böswilliges Selbstbewusstsein gab, und sie war wütend. So wütend. Auf die dummen, dummen Pilger auf ihrem Hof. Auf die Jungs, die sie schützten, weil sie keine Ahnung von dem hatten, was um sie herum vor sich ging und trotzdem glaubten, darüber lachen zu dürfen. Auf den Gott, der sie ausnutzte. Und vor allem auf sich selbst, weil sie sich die ganze Zeit hinter Treureigen und den anderen versteckt hatte.

„Hört mir zu“, krächzte sie hervor. Sie schluckte trocken und wiederholte lauter: „Hört mir zu!“ Es wurde stiller, aber weiter hinten schien man noch nicht mitbekommen zu haben, was sich vor der Hütte abspielte.

„Ich bin enttäuscht. Ich bin wirklich enttäuscht von euch. Und sehr wütend.“ Sie machte eine Pause, während sie die betroffenen Gesichter betrachtete. „Was fällt euch ein? Ich bin nur eine einfache Bäuerin. Was fällt euch ein? Ihr kommt auf mein Land! Mein Land! Ihr belästigt mich Tag und Nacht! Ihr stört meine Kinder, weckt sie auf! Jetzt bedroht ihr uns auch noch?“ Eine einsame Träne quoll aus ihrem linken Auge. „Was fällt euch ein? Schämt euch! Ja, schämt euch! Ihr seid keine Rabauken mehr!“

Inzwischen war es ganz still geworden und nur die wenigen Onren, die noch übrig waren, schrien in ihrem Stall. Einige der Pilger nickten betroffen.

„Ich wollte euch meine Kinder zeigen. Meine Kinder! Versteht ihr das? Ich habe mein Wort gegeben. Deswegen werden meine Freundinnen mir helfen, sie herauszubringen.“ Die Gesichter hellten sich auf. „Dafür erwarte ich von euch, dass ihr euch benehmt. Und ich erwarte, dass ihr dann von meinem Hof verschwindet.“

Ohnfeder hatte wenig Hoffnung, dass wirklich alle gehen würden, aber jeder, der weg war, war in ihren Augen eine Verbesserung. Sie fürchtete nur, dass immer mehr kommen würden.

Sie musste einen Ausweg finden, der die Pilger von ihren Kindern auf Dauer fernhalten würde.



Feen 2: Anai meldet sich

Sonntag, 17. August 2014, 14:45
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Manchmal, für einen kleinen Augenblick, wunderte ich mich, wie jemand wie Shaljel, der älter war als nahezu jedes andere lebende und denkende Wesen auf dieser Welt, so ungeduldig sein konnte. Es waren die Augenblicke, in denen ich zu vergessen schien, wer oder vielmehr was Shaljel war. Verglichen mit den wenigen anderen Feen, die noch lebten, war er geradezu ein Ausbund der Gelassenheit und stillen Meditation. Kein anderer Feen hätte einen Plan entwickeln können, wie er es zusammen mit Estron getan hatte. Sie hätten es wohl nicht einmal versucht, denn selbst wenn ihre Gedanken sich den anderen Völkern zugewandt hätten, ihre Aufmerksamkeit wäre nicht lange genug bei jemand anderem als ihnen selbst geblieben. Aber selbst Shaljel, der in der Lage war, still zu sitzen, anderen zuzuhören und zu beobachten, wäre vermutlich mit seinen Überlegungen bald bei etwas anderem gewesen. Ihm den weisen Keinhäuser zur Seite zu stellen, war nicht viel gewesen, und es hatte mich mehr geschmerzt, als Shaljel es sich vorstellen konnte, ich wusste jedoch, dass der Feen die Hilfe benötigen würde. Denn ich bin zwar alle Götter, aber ich bin nicht allmächtig. Ich verfolgte meinen eigenen Plan. Einen langsamen, weitreichenden Plan, der erst in vielen Jahren Früchte tragen würde, aber dennoch meine Aufmerksamkeit erforderte. Und auch wenn die meisten Priester sich von mir abgewandt hatten, ihre Gedanken und Gebete forderten immer wieder meine Anteilnahme. Ich hörte die vielen Gebete und versuchte sie zu achten, meine Kraft hatte jedoch ihre Grenzen. Ich betrachtete die Welt durch die Augen derjenigen, die glaubten, aber ich konnte nicht überall gleichzeitig meine Blicke hinwenden.

So konnte ich vieles nicht verhindern, von dem was geschah. Oft gelang es mir nur, meinen eigenen und Shaljels Plan zu wahren, nicht aber das Leben aller zu schützen. Mir war bewusst, dass Shaljel die Dinge, die ich Estron und Ohnfeder angetan hatte, nicht gut hieß, nicht gut heißen konnte. Ich selbst hatte lange mit mir gerungen, ob ich dazu das Recht besaß. Am Ende war ich jedoch der Gott aller und durfte nicht nur an den Einzelnen denken. Dennoch werde ich bis an mein Ende hoffen, dass Shaljel mir diese Untaten vergeben konnte.

 



Feen 2: Ankunft in Imanahm

Freitag, 15. August 2014, 11:53
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Der Einstieg in Feen 2:

——

 

Imanahm war der Heimathafen aller seefahrenden Händler.

Dies entsprach natürlich nicht der Wahrheit und die Händler aus Maranal und Rakjahm hätten eine mit unschönen Worten gefüllte Antwort für jeden parat gehabt, der gewagt hätte, solche Worte aus seinem Mund quellen zu lassen. Die vereinte Flotte Imanahms und die Menge der Waren, die sie transportierte, überstieg jedoch um ein vielfaches alles, was die anderen Städte aufzubieten hatten, so dass die Imanahmer die Erwiderung ihrer Kollegen nur müde belächelt hätten, um später bei einem gemeinsamen Essen eine Strategie zu ersinnen, mit der man eine solch impertinente Person ruinieren konnte.

Der Handel und seine Akteure spielten jedoch für die Anführer der kleinen Gruppe, die am Nachmittag des 12. Oktobers die Stadt betrat, kaum eine Rolle. Nicht, dass jemand die Gruppe als solche in der Herbstkarawane hätte ausmachen können. Sie bewegten sich zwischen den vielen Karren und Wagen, Kutschen und Trägern, als wären sie Gesellen und Mitarbeiter der einzelnen Händler. Der große Chuor, dessen seine Geweihaxt unter den Waren eines der Händler versteckt lagen, dem er ihm geholfen hatte, seinen Karren aus dem Matsch zu ziehen, war wohl der einzige, der aus den vielen Menschen herausstach, aber auch nur so lange, bis sie die Stadtmauer hinter sich gelassen hatten. Imanahm unterhielt einen regen Handel mit den Chuor, die Flussaufwärts am südlichen Ufer des Großen Jahm lebten. Und die Wolfsmenschen besaßen als einzige Nichtmenschen ein Kontor in der Stadt. Man traf sie zwar nicht auf Schritt und Tritt, die Menschen hatten sich jedoch an sie gewöhnt und beachteten sie kaum.

Dass die einzelnen Menschen und der Chuor, die sich nach und nach unter Umarmungen, Schulterklopfen und Händeschütteln von der Karawane verabschiedeten, tatsächlich zusammengehörten, hätte ein uneingeweihter Beobachter frühestens feststellen können, als sie sich an den Werften trafen. Auf dem Weg mochten sich die einzelnen noch nach etwaigen Verfolgern umgesehen haben, Sobald sie sich jedoch wiedergetroffen hatten agierten sie sorglos.

„Ich weiß, dass ihr den Plan inzwischen auswendig und im Schlaf aufsagen könnt“, Shaljel, der leichtfüßigste unter den vier Menschen, lächelte sein verschmitztes Lächeln, „aber hat noch jemand eine Frage?“ Dabei blickte er seine beiden jüngeren Mitreisenden an, einen Mann und eine Frau, wettergegerbt, mit Tätowierungen im Gesicht, die sich auf der rechten Gesichtshälfte vom Haaransatz bis auf das Augenlid erstreckten. Neben dieser Markierung, die sich kaum verbergen ließ, war jedoch die Kleidung der vier Menschen, das, was sie an diesem Ort herausstechen ließ. Sie war schlicht und nach bestem Messen und Ermessen hässlich. Aber sie hielt wärmer, als alles, was diese Stadt zu bieten gehabt hätte. Wenn man die Gruppe so sah, hätte man kaum geglaubt, dass sie beabsichtigten, eine Flotte bauen zu lassen, die der der Händler an Größe nahe kam oder sie sogar übertreffen würde.

Shaljel zog aus seinem Umhängebeutel mehrere goldene Münzen hervor. Es waren alte Münzen, wie sie seit langem nicht mehr gebräuchlich waren, das Gold sprach jedoch eine alterslose Sprache. Woher er die Münzen hatte, konnte keiner seiner Gefährten sagen, Estron, der vierte Mensch, und der Chuor Streiter hätten einige Vermutungen anstellen können, denn Streiter war lange mit Shaljel gereist und Estron kannte zu viele der alten Geschichten, um nicht von den alten Reichen zu wissen, deren Tote mehr Schätze besaßen als die Lebenden, denen er begegnete. Estron, der Keinhäuser, dessen Lebensinhalt, wie er meinte, lange Zeit nur daraus bestanden hatte, zu reisen und zu beobachten, wäre früher niemals auf die Idee gekommen, ein Grab aufzubrechen und hätte es wohl aus Respekt vor den Angehörigen sogar verurteilt. Aber mit der Zeit war ihm bewusst geworden, dass für die Toten das Grab keine Bedeutung besaß. Deswegen vergeudete er jetzt keinen Gedanken mehr an den Ursprung des Geldes.

Die Münzen wechselten die Hand und verschwanden in den jeweiligen Beuteln. Nur Streiter ging leer aus, da ein Chuor, der bei Menschen ein Schiff in Auftrag gab, noch mehr Fragen aufgeworfen hätte, als einige abgerissene Wanderer mit alten Münzen. Die Chuor bauten ihre eigenen Boote und würden eine solche Aufgabe niemals den Menschen anvertrauen.

Als sich die fünf trennten, machte er sich stattdessen zu einem der Sägewerke auf, die im Nordosten der Stadt das Wasser des Ima ausnutzten, um ihre Sägen zu betreiben. Denn wer Schiffe baute, benötigte Holz. Die Stämme würden bald eintreffen aber zu Brettern mussten sie noch verarbeitet werden. Sie wussten, dass die Bretter, die sie auf diese Weise erhielten noch hätten trocknen müssen, aber die Zeit drängte und sie hofften, dass die Schiffe eine einzige Überfahrt überstehen würden, zumal sie göttlichen Schutz erhalten würden.

 

„Wie viele Schiffe könnt ihr bis zum Frühjahr fertigstellen?“

„Das hängt ganz von dem ab, was ihr haben wollt.“ Der Besitzer dieser kleinen Werft am äußersten Rand des Hafengeländes hatte Tro-ky zuerst nicht sprechen wollen. Er hatte sogar mit Prügeln gedroht, wenn der ungewaschene und tätowierte junge Mann das Gelände nicht verließe. Der Glanz der Münze, die Estrons Schüler ihm für einen kurzen Moment zeigte, hatte ihn jedoch umgestimmt.

„Ich benötige Schiffe, die viel Ladung tragen können. Sie müssen nicht schnell sein.“

„Ihr wollt Handel treiben?“

„Ja. Ich habe eine Quelle im Norden.“

„Wovon sprechen wir?“ Als Tro-ky nur mit einem misstrauischen Blick antwortete, fügte der Mann schnell hinzu: „Nur damit wir die richtigen Einbauten anlegen können.“

„Herden. Mehr kann ich nicht sagen.“

Der Werftbesitzer nahm sich eine Schiefertafel und kritzelte etwas darauf. Tro-ky hatte nie zu rechnen gelernt. Er konnte die alltäglichen Sachen zusammenzählen und abziehen, aber mit großen Zahlen wusste er nicht umzugehen, vor allen nicht schriftlich. Deswegen beobachtete er interessiert, wie der Schiffbauer fremde Zeichen auf seine Tafel schrieb, übertrug, wegwischte und neu schrieb.

„Wenn wir jetzt beginnen, dann könnten wir in drei Monaten das erste zu Wasser lassen. Dann kämen die aufbauten, Takelage und alles andere dran. Allerdings könnten wir an bis zu drei Schiffen mehr oder weniger gleichzeitig arbeiten, so dass wir dann fast jede Woche ein weiteres vom Stapel lassen.“ Er zeigte Tro-ky die Tafel, deren Existenz jener mit einem Nicken zur Kenntnis nahm, deren Inhalt sich ihm jedoch nicht erschloss.

„Das Problem ist nur, dass wir erst noch das Holz dafür besorgen müssten. Und natürlich alles andere auch.“

„Ich denke, ich kann euch beruhigen.“ Tro-ky versuchte ein freundliches Lächeln, was vielleicht nicht ganz erfolgreich war, denn der Werftbesitzer sah ihn irritiert an. „Die Chuor werden in den nächsten Tagen ausreichend Holz den Großen Jahm hinunterbringen.“

„Dann sind sie aber früh dran. Aber das wird nicht reichen.“

„Das wird es. Vertrauen sie mir.“

„Wenn ihr es sagt. Aber wie viele Schiffe wollt ihr, dass wir bauen?“

„So viele, wie ihr im nächsten halben Jahr bauen könnt.“ Der Mann begann wieder zu kritzeln.

„Zehn, wenn ihr euch um die Ressourcen kümmert.“

Tro-ky nickte.

„Und die Hälfte im Voraus.“

„Selbstverständlich. Nennt euren Preis.“

 

Zwei Stunden später trafen sich die fünf auf dem Marktplatz. Sie blickten sich an und lächelten, jeder auf seine Weise, mehr war nicht erforderlich. Ähnlich wie Tro-ky hatten auch seine Freundin Kam-ma wie auch Estron und Shaljel eine große Anzahl Schiffe in Auftrag gegeben. Auch Streiter kam vom Sägewerk mit guten Nachrichten zurück. Bisher schien alles wie geplant zu laufen, und für den Moment würden sie noch in Heimlichkeit verweilen.

Doch natürlich würden sich solch große Aufträge herumsprechen. Natürlich würden die einzelnen Werften voneinander erfahren und sich Gedanken über ihre Auftraggeber machen. Natürlich würden auch die Priester und wenig später die Drachen von diesen seltsamen Vorgängen Meldung erhalten. Spätestens dann würde es zu Nachforschungen, Verfolgungen und vermutlich auch Gewalt kommen. Als sie sich auf ihr Vorgehen geeinigt hatten, war ihnen bald klar geworden, dass ihre einzige Chance darin bestand, sich selbst und ihre Pläne möglichst lange vor ihren Feinden zu verbergen und so schnell wie möglich zu agieren, während sie gleichzeitig für eine Ablenkung sorgten, auf die sich die Priester konzentrieren konnten.

Die Zeit der Heimlichkeit würde bald vorbei sein. Ein Teil ihres Plans würde bekannt werden. Jetzt galt es, ein halbes Jahr durchzuhalten und alles das, was sie in den letzten Monaten in Bewegung gesetzt hatten, auch zu einem Ende zu bringen.