Feen 2: Enk kehrt zurück

Freitag, 22. August 2014, 21:04
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Er war wieder auf dem Weg nach Imanahm. Er hatte nicht sofort seinen Karren wenden können, nachdem die Karawane an ihm vorübergezogen war. Lanei hatte immer noch in seinem Versteck unter den Kisten gelegen. Enk hatte ihn schlechterdings einfach aussetzen können, was er bedauerte. Lanei schien ein anständiger Kerl gewesen zu sein, aber das Risiko, dass er irgendjemandem von seiner Flucht erzählen würde, war einfach zu groß gewesen. Enk hatte ihn schnell getötet, so schmerzlos, wie es mit einem kleinen Messer möglich war. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er sich dabei nicht wohl gefühlt. Normalerweise konnte er sich ein Opfer in Agonie auf dem Boden wälzen sehen, ohne etwas dabei zu empfinden. Seitdem er selbst Frau und Kinder zurück gelassen hatte, die jetzt ohne ihn zu Recht kommen mussten, verband ihn etwas mit Männern wie Lanei. Deswegen musste er zum ersten Mal an diejenigen denken, die durch seine Taten ohne einen geliebten oder ihnen wichtigen Menschen auskommen mussten.

Er hatte dem großen Mann vielleicht hundert Schritte vom Weg entfernt eine Luftbestattung gegeben. Es war riskant und er hätte auch die Zeit gehabt, ihn zu begraben. Aber in Ermangelung der Werkzeuge und in Anbetracht dessen, dass er seinen Karren dafür eine ganze Weile hätte unbewacht am Wegesrand stehen lassen müssen, hatte er die schnellste Methode gewählt, die Leiche zu entsorgen.

Auf dem Weg zurück zur Stadt hatte er die Kisten mit verschiedenen Waren gefüllt, die er günstig erwerben konnte. Es war besser, in der Stadt eine gewisse Tarnung aufrechterhalten zu können, denn diesmal sah sein Plan weniger elegant aus und sein Aufenthalt mochte länger dauern, als es ihm recht sein konnte.

Er wollte Estron finden, deswegen war er ursprünglich nach Imanahm gekommen. Denn hier wurden alle Verhörprotokolle der Priester Veshtajoshs gelagert. Auf diese Weise hatte er von Lanei erfahren, dem man unter der Folter entlockt hatte, dass Estron, der Keinhäuser, ihn besucht hatte. Enk kannte den Mann, war einst mit ihm gewandert, aber das war nicht das eigentlich Interessante gewesen. Lanei hatte etwas gesagt, dass für die Priester anscheinend nicht wichtig gewesen war. Gründlich wie sie waren, hatten sie es trotzdem notiert. Es war so eine Kleinigkeit, dass selbst er es beinahe überlesen hatte: Der Besucher hätte sich mit einem neuen Freund treffen wollen, jemand wichtigem, wie Lanei an anderer Stelle gesagt hatte. Soweit war es nicht bemerkenswerter als andere erzwungene Geständnisse gewesen. Nur dass Lanei beschrieben hatte, wie aufgeregt Estron gewesen sein musste, hatte Enks Denken angetrieben. Estron war immer neugierig und gespannt auf alle neuen Begegnungen gewesen. Wenn jemand, der ihn kannte, jedoch betonte, dass der Keinhäuser aufgeregt war, dann hatte dies etwas zu bedeuten.

Und dann war er Estron auf der Straße begegnet. Er wusste, dass auch sein alter Weggefährte ihn erkannt hatte. Trotzdem hatten beide kein Wort gesagt. Enk wusste, warum er selbst still geblieben war, hätte er doch ansonsten seine Verkleidung verraten. Aber Estron hatte das Gespräch ebenfalls vermieden, obwohl nichts zwischen ihnen stand, soweit Enk es wusste.

Doch wichtiger an dieser Begegnung war gewesen, dass sie überhaupt stattgefunden hatte. Natürlich war es nicht unmöglich, dass man sich ein zweites Mal im Leben begegnete. Aber mit dem Verdacht, den Enk hegte, und all den anderen Umständen seiner Reise, war er sich sicher, dass dies kein Zufall sein konnte. Es waren Dinge in Bewegung geraten, von denen Enk wusste, dass er keine Kontrolle darüber hatte, und sowohl Estron als auch er selbst wurden von ihnen mitgerissen. Er zweifelte nicht daran, dass sie beide auch selbst neue Anstöße geben würden, aber wer waren sie schon, wenn sie sich mit den Drachen messen mussten, die ihn zu einem Teil ihres Plans gemacht hatten. Ein Gedanke, der Enk nicht gefiel, der ihn aber bereits seitdem er seine Familie zurückgelassen hatte, verfolgte. Am liebsten wäre er geflohen, hätte sich versteckt, denn das, was die Drachen bezweckten, konnte nichts Gutes bedeuten, weder für ihn selbst, noch für die Völker, die in ihrem Herrschaftsbereich lebten. Aber gleichgültig, wie groß diese vorgestellte Gefahr sein mochte, die reale Gefahr für seine Familie war größer.

So machte er weiter und dachte an seine Frau und seine beiden Söhne, wann immer er sich einen ruhigen Augenblick zu gönnen wagte. Er hatte wenig Hoffnung, seinen Auftrag zu erfüllen. Selbst wenn es ihm gelang, Shaljel Githon zu finden – und um niemand anderen konnte es sich bei Estrons besonderen Freund handeln – dann würde er doch versagen, denn gegen einen Feen konnte er nicht gewinnen. Nach allem, was man wusste, schliefen Feen nicht, waren immun gegen Gifte, bewegten sich schneller und waren stärker als jeder Mensch. Außerdem hieß es, dass sie große Magier seien. Bei Vielem von dem, was man über die Feen sagte, konnte Enk natürlich nicht genau wissen, ob es wahr war, seine einzige Begegnung mit einem Feen hatte ihm jedoch klar gemacht, dass er ihnen körperlich aussichtslos unterlegen war. Ein Hinterhalt mochte ihm den entscheidenden Vorteil verschaffen, doch eigentlich hoffte er nur, dass die Drachen ihr Wort halten würden und seine Familie verschonen würden.

Gleichgültig, ob er seinen Auftrag zu Ende führte oder starb, seine Familie würde sicher sein.

Die Wache am Stadttor von Imanahm meinte, den zottigen Mann auf seinem Karren wiederzuerkennen, wich aber dem grimmigen Blick aus, der ihr vom Kutschbock zugeworfen wurde. Das war nicht der schusselige Bauer, der vor vielleicht zwei Wochen die Stadt verlassen hatte. Er blickte dem Karren nach, der in Richtung des Marktplatzes verschwand. Sein herausströmender Atem war so laut, dass sein Kollege, der sich gerade um eine kleine Pilgergruppe gekümmert hatte, zu ihm hinüberblickte. Der Wächter erwiderte den Blick und man konnte in seinem Gesicht lesen, dass er meinte, nur knapp dem Tod entronnen zu sein


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