Feen 2: Ein wenig Owithir, ein wenig Reig

Dienstag, 9. September 2014, 00:58
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Sie waren ganz nah. Der leuchtende Pfad, den Owithir vor sich sah, war so deutlich, wie er ihn zuvor noch nie wahrgenommen hatte. Sie hatten sogar eine kleine Pilgergruppe überholt, deren Anführer behauptete, sie gefangengesetzt zu haben, bis sie mit ihren dämonischen Kräften seine Wächter überwältigt hätten und entkommen waren. Owithir zweifelte an dieser Darstellung, nicht weil er glaubte, dass es unmöglich war, die beiden Magier zu überrumpeln, sondern weil er sich sicher war, dass die Flucht zumindest zu schweren Verletzungen oder sogar dem Tod der Wächter geführt hätte, wenn er von dem ausging, was sie hatte tun sehen.

Auch wenn der Bericht jener Pilger fragwürdig war, stand dennoch außer Frage, dass sie den beiden begegnet waren. Owithir hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Gedanken dieser Männer zu lesen. Was hätte er erfahren können, dass ihm bei der Jagd geholfen hätte? Die Scham, die von dem Anführer ausgegangen war, hatte er sich jedoch nicht entziehen können, als sie an der Gruppe vorbeigeritten waren. Er war versucht gewesen, sein Bataga zu zügeln. Reigerins Widerwillen gegenüber diesem Mann war jedoch so stark gewesen, dass er den großen Reitbüffel weitertrotten lassen hatte. Seine eigenen Wächter waren ihm gefolgt und es war ihm nicht entgangen, dass Tafgen einem der angeblich verzauberten Wächter des Pilgers zunickte.

Als sie außerhalb der Hörweite der kleinen Gruppe gewesen waren, hatte Pethen sich an Reig gewandt: „Ich spüre, dass du die Pilger nicht mochtest. Was stört dich an ihnen.“ Reig zögerte. Sie schämte sich, von Owithir nach ihren Gefühlen befragt zu werden. Sie reiste jetzt bereits seit drei Wochen mit einem Priester und fünf Kriegern durch eine Welt, von der sie keine Vorstellung gehabt hatte. Sie hatte die Männer all die täglichen Dinge tun sehen, die auch ihre Eltern und Geschwister getan hatten. Sie hatte sie fluchen gehört und ihnen das Wasser geholt. Sie hatte sogar damit begonnen sie zu bekochen mit dem wenigen, was man in dieser Jahreszeit und auf der Reise kochen konnte. Und vor allem saß sie Tag für Tag hinter Wohlehrwürden, roch ihn, spürte seine Wärme, hörte seine Freundlichkeit. Sie war noch ein junges Mädchen, sie war jedoch auf einem Hof mit Tieren aufgewachsen. Sie kannte die Läufe der Natur und was sie zwischen den Tieren anstellten. Sie war sich sicher, dass sie etwas Ähnliches empfand, auch wenn die Jahreszeit nicht danach war. Und sie wusste, dass es nicht rechtens war, etwas Derartiges gegenüber Wohlerwürden zu empfinden. Sie konnte ihre Gefühle jedoch nicht unterdrücken oder verneinen. Er war so freundlich zu ihr, er sorgte sich um sie. Die Söldner waren ebenfalls nett zu ihr, aber sie spaßten nur mit ihr, lobten oder neckten sie. Owithir, Wohlehrwürden, schien sie jedoch zu verstehen. Auch wenn er streng war, so war er doch gerecht, aufrichtig und auf seine eigene Weise gütig.

„Er war nicht ehrlich.“

„Viele sind nicht ehrlich. Auch meine Wachen lügen, wenn es ihnen nützlich erscheint.“ Kalig, der direkt hinter ihnen ritt, lachte kurz auf. „Sie stören dich nicht.“

Reig hatte einen Augenblick überlegen müssen. „Er ist wie der Händler, der mal auf dem Hof war.“

Owithir hatte die Gefühle in dem Mädchen aufwallen gespürt. Er spürte sie allzu oft und allzu deutlich. Es blieb nicht aus, wenn sie sich an ihm festhielt. Er konnte sich kaum dagegen wehren.

„Der Händler hat euch betrogen?“ Er hatte es als Frage formulierte, obwohl er die Antwort bereits gekannt hatte. Reigerin hatte nur genickt, was er nur an seinem Rücken hatte spüren können, aber nicht sehen.

„Ich weiß was du meinst, Reig. Ich mochte ihn auch nicht.“

 

Seitdem waren sie weitergeritten und den beiden Hexern immer nähergekommen. Owithir wäre gerne noch schneller vorangekommen. Zwar erschöpfte er inzwischen nicht mehr so leicht, trotzdem strengte ihn das Reiten und die göttliche Sicht, mit der er der Spur folgte, immer noch an. Seine Wächter mussten ihn jeden Abend zwingen, die Verfolgung zu unterbrechen, weil sie fürchten mussten, dass er erneut von seinem Bataga herunterfallen würde, wenn er sich überanstrengte.

Da sie jetzt der Straße folgten, kamen sie immer wieder an Gaststätten vorbei. Allerdings musste der Priester das Geld zusammenhalten, denn er bestand darauf, für alles, was sie sich nehmen mussten, auch zu bezahlen. Seine Wächter kannten viele Priester, waren mit vielen gereist. Für sie alle waren die Dinge, die sie sich von ihren Gläubigen nahmen, nur weitere Opfergabe an die Götter, als deren Vertreter sie angesehen wurden. Kein anderer Priester den sie kannten hatte in ihrer Anwesenheit jemals einen Bauern für etwas Geld gegeben. Und dies, so seltsam es auch sein mochte, gefiel den Wächtern, die es ansonsten gewohnt waren, überall gefürchtet zu sein. Es gab ihnen das Gefühl mehr als nur privilegierte Waffenträger zu sein. Mit Owithir waren sie tatsächlich Diener der Götter, etwas Besonderes. Denn natürlich war ihnen das Leiden der Bauern vertraut. Schließlich war keiner von ihnen mit einem goldenen Löffel im Mund auf die Welt gekommen. Nur weil es ihnen im Dienst der Priester besser ging, ignorierten sie das Leid oder freuten sich heimlich, dass es nicht sie selbst traf.

Nur leider bedeutete Owithirs Großmut eben auch, dass sie sich keine Unterkunft leisten konnten. Hinzu kam, dass er sich nur ungerne seine Tagesritte von irgendwelchen Wegmarken wie den Gaststätten bestimmen ließ. So bauten sie nun ein weiteres Mal ihr Lager am Wegesrand auf, in der Kälte, mit einem mageren Feuer, nur mit dem Schutz einiger Blattloser Sträucher und des Batagas sowie der fünf Ges, an die sie sich schmiegten, um von beiden Seiten Wärme zu empfangen. In der Kälte verschwanden die Standesunterschiede und die kleine Gruppe drängte sich dicht zusammen. Owithir hätte gerne auf diesen Kontakt verzichtet, aber selbst wenn seine eigenen Träume mit denen der anderen durchmischt wurden, die Wärme war willkommen.

Owithir und Reig waren von den Wachen ausgenommen. Aber oft genug wachte einer von ihnen auf, wenn beim Wachwechsel ein Rucken durch ihr Lager ging. Manchmal setzte sich Owithir dann zu dem Wachhabenden ans Feuer und leistete ihm Gesellschaft, so wie auch diese Nacht.

Das Feuer war inzwischen nur noch ein Glühen, denn sie hatten nicht viel Holz finden können. Die Bauern der Umgebung, Holzhändler und wohl auch die Reisenden vor ihnen hatten bereits das Meiste Brennmaterial verbraucht oder fortgeschafft. Daher hielt sich Tafgen, die dritte Wache in dieser Nacht, mit den eigenen Armen umschlungen dicht neben der Glut, von der kaum noch etwas zu sehen war. Owithir hatte gehofft, sich ein wenig am Feuer aufwärmen zu können, blieb aber trotz der Kälte einen Moment bei dem Wächter. Die Nacht war finster und nur ab und zu konnte man einen Schimmer des Rings oder den Halben Mond zwischen den Wolken hervorblinzeln sehen. Für den Priester hielt die Dunkelheit jedoch keine Geheimnisse mehr, seitdem er begriffen hatte, dass die besondere Sicht, die er als Gabe von den Göttern erhalten hatte, ihm auch die Nacht erhellte. Die Ironie dabei entging ihm nicht. Er war der einzige in seiner Gruppe, der jetzt noch etwas sehen konnte, aber trotzdem brauchte er keine Wache zu halten.

„Marinam meinte heute, wir müssten morgen Imanahm erreichen. Warst du schon einmal da?“ Es war eine jener belanglosen Fragen, die man stellte, um ein Gespräch zu beginnen, denn Owithir wollte nicht nur still hier hocken und auf die verlöschende Glut starren.

„Bin mal durchgekommen, Wohlehrwürden. Da waren ich, Laftin, Grillem und Sit noch Ehrwürden Ulavderan unterstellt.“

„Ich erinnere mich an Ulavderan. Ich bin ihm ein paar Mal im Tempel begegnet, wenn er uns Häretiker zur Befragung brachte. Er schien mir sehr streng und unnachgiebig zu sein. Wenig freundlich.“ Tafgen nickte. Das kannten sie inzwischen von ihrem Priester: er sprach offen über andere Geistliche. Seine Stimme verriet keinen Ton der Anklage, aber aus den Wörtern konnte man oft schließen, wenn man es denn wollte, dass er nicht immer einverstanden mit seinen Kollegen war. Was daran ungewohnt war, war nicht, dass ein Priester über ein anderen lästerte, sondern dass er sich mühe gab, es nicht zu tun. Der Wächter wusste, dass es solche Priester gab, er hatte jedoch nie mit ihnen zu tun, denn sie saßen in den Bethallen, Schreibstuben und Klausen. Außer mit ihren Gebeten verfolgten sie keine Ketzer. Wohlehrwürden war so sanft wie die betenden Priester, er konnte jedoch ebenso hartnäckig und gnadenlos sein wie die Priester von Sonne und Schwert, mit denen Tafgen und die anderen Wächter für gewöhnlich arbeiteten. Wenn die Geschichten aus den Folterkellern stimmten, dann konnte er sogar noch grausamer sein, wenn die Umstände es verlangten.

„Waren die beiden anderen deine Freunde?“ Tafgen starrte weiter auf die Glut, sein Kopf zuckte jedoch zustimmend. Mehr brauchte Owithir nicht zu wissen. Wenn die vier eine Einheit gewesen waren, dann waren sie zusammen bei dieser Mission marschiert, bis in die Höhle, in der die Magier gehaust hatten und aus der nur ein paar Männer der großen Schar wieder herausgekommen waren.

„Hast du Angst vor dem Tod?“

„Nein, Wohlehrwürden. Wir kämpfen und wir sterben. So ist das.“

„Ja, so ist das wohl.“ Sie schwiegen und froren gemeinsam. Owithir spürte einen seltsamen Trost durch die Nähe seines Wächters. Zu selten fühlte er sich jemandem nahe.

Tafgen schreckte plötzlich hoch. Noch bevor Owithir sich aufrichten konnte, hatte der Wächter seine Armbrust in Anschlag gebracht und späte in die Dunkelheit hinaus. Als Owithir sich neben ihn stellte, nickte Tafgen in Richtung der anderen Wächter. Der Priester bewegte sich so leise er konnte zu den Männern hin, und weckte sie, während er weiter in die Nacht nach dem Geräusch lauschte, dass seinen Wachhabenden aufgeschreckt hatte.

Dann sah er hinter einigen Bäumen kleine Wesen hervortreten. Sie glichen Ratten, die auf zwei Beinen liefen. In ihren kleinen Händen hielten sie Speere und lange Messer. Er hatte solche Wesen noch nie gesehen, kannte jedoch Erzählungen von Rattenmenschen. Händler, die den Osten bereisten, hatten immer wieder von ihnen berichtet, von ihrem Gestank, ihrem Dreck und ihren wimmelnden Städten. Sie waren klein, aber es blieb nicht nur bei dem einen. Immer mehr tauchten in seinem Sichtkreis auf, verließen ihre Verstecke hinter Bäumen und Büschen. Sie gingen forschen Schrittes in Richtung des Lagers, verharrten jedoch, als einer von ihnen ein leises Fiepen von sich gab, dass Owithir überhört hätte, wenn er nicht gewusst hätte, dass dort Ratten standen.

Die kleinen Wesen schnüffelten in die Richtung der Menschen. Mit ein paar weiteren Fiepsern gab der Anführer seinem Trupp ein Zeichen, und die Rattenmenschen wichen zur Seite aus.

Inzwischen waren die Wächter aufgestanden und hatten sich mit ihren Pieken bewaffnet vor Owithir aufgestellt. Auch sie blickten in den finsteren Wald, konnten aber unmöglich die kleinen Gestalten erkennen. Möglich, dass sie Bewegungen wahrnahmen, aber Owithir wusste selbst, dass der Geist den Augen die unheimlichsten Streiche in der Dunkelheit spielte. Er hörte das vibrierende Geräusch der Armbrustsehne, als Tafgen auf etwas schoss, konnte dem Flug des Bolzens jedoch nicht folgen. Die Rattenwesen bemerkten den Schuss nicht einmal und setzten ihren Weg leise und flink fort.

Während noch Tafgen seine Waffe mit Haken und Bügel spannte, beobachte Owithir, wie die Gruppe der Rattenmenschen weiter nördlich von ihnen die Straße überquerte. Sie bewegten sich weiter ganz leise und erst nachdem sie aus seiner Sicht verschwunden waren, fiel ihm auf, dass seine Männer immer noch das Gebiet, aus dem sie zuerst Geräusche gehört hatten, anstarrten.

„Sie sind weg, Tafgen. Marinam, Kalig, legt euch wieder schlafen. Es wird uns nichts geschehen.“

Marinam, der inoffizielle Führer der verbliebenen Wächter, warf Owithir einen fragenden Blick zu, den der Priester, hätten ihn die Götter nicht gesegnet, unmöglich hätte erkennen können.

„Es waren Rattenmenschen und sie sind weitergewandert. Sie haben uns gerochen und wollten uns wohl nicht begegnen.“

Laftin schüttelte den Kopf, als wollte er zum Ausdruck bringen, dass er sich niemals an Owithirs Gabe gewöhnen würde. Trotzdem ging er zusammen mit den anderen Wächtern zurück zum Schlafplatz. Nicht nur er warf dabei dem heruntergebrannten Feuer einen missmutigen Blick zu. Owithir atmete leise erleichtert aus und kümmerte sich um Reigerin, die sich in Ermangelung eines warmen Rückens, an den sie sich hätte kuscheln können, zusammengerollt hatte. Er half Laftin und Kalig, sie ein wenig besser hinzulegen, damit sie sich als Menschliche Wärmekrucken um sie legen konnten.

Er lächelte. Die harten Männer, die den Tod nicht fürchteten, hatten das junge Mädchen anfänglich abgelehnt, hätten sie vielleicht sogar getötet, wenn Owithir sie nicht zuerst gefunden hätte. Inzwischen war sie ihnen jedoch ans Herz gewachsen, wie sie auch ihm ans Herz gewachsen war. So froh er darüber war, dass sie die Milde in den Kriegern geweckt hatte, so sehr wünschte er trotzdem, dass sie ihnen niemals gefolgt wäre, denn er fürchtete, dass die Gefahr, in die sie sie mitnahmen, sie umbringen würde.


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