Feen 2: Pethen und Hylei bekommen besuch.
Der Abend war gekommen und mit ihm der seltsame Mann, der diesmal offen die Gasse heruntergeschlendert kam. Er schien sehr vergnügt zu sein und machte ab und zu einige hüpfende Schritte. Er schien sich keine Gedanken darüber zu machen, ob ihn jemand beobachtete. Pethen, der seine Sicht bis aufs äußerste in die Weite geschickt hatte, konnte allerdings niemanden entdecken, der um diese Zeit hier herumschlich, wenn er von dem Fremden sich selbst und Hylei absah. Der Feenling lag hinter einem Schornstein auf dem Dach einer Werkstatt. Der junge Mann wunderte sich, ob der Fremde tatsächlich sorglos war, oder genau wie er selbst wusste, dass niemand in der Nähe war. Warum auch nicht? Wenn er über so viel Macht verfügte wie Pethen glaubte, dann war eine Sicht wie die seine kaum außerhalb des Möglichen.
„Du hast noch nicht zu lange gewartet, oder?“
„Wer seid ihr?“
„Ah, ich sehe. Mein Freund hat mich gewarnt, dass ich mich nicht beliebt machen würde bei dir. Allerdings fürchte ich, wir sollten keine Namen austauschen. Sicherer, verstehst du?“
„Wie ihr wollt.“
„Und hör mit dem ‚Ihr‘ auf. Wir haben etwas gemeinsam. Mehr oder weniger. Tut mir leid, dass ich dich vorhin so lange beobachtet habe. Ich wollte einfach sehen, ob du mit deinem Drirelgli umgehen kannst oder nicht. Und ich bin froh, dass du keine Gefahr für die anderen darstellst.“ Der fremde sprach sehr schnell, als würde er über Belanglosigkeiten plaudern. Pethen musste sehr aufpassen, um in dem Wortschwall nicht verloren zu gehen.
„Ihr seid ein Magier, so viel sehe ich. Aber was wollt ihr von mir.“
Der Mann schüttelte den Kopf.
„Ich meinte das ernst mit dem ‚Ihr‘, aber wenn du es so willst. Nun gut. Allerdings dachte ich, ich hätte mich vorhin deutlich erklärt: Ich will euch helfen. Ihr seid so auffällig wie ein Bataga im Onrenstall, zumindest für mich und ihr habt einen Faden, der euch mit jemandem verbindet. Das kann jeder sehen, der darauf achtet. Selbst mein Freund hat es gesehen. Gut, das ist jetzt vielleicht kein Zeichen dafür, wie offensichtlich es ist, denn er scheint auf alles zu achten. Außerdem ist er etwas besonderes. Aber das seid ihr auch und ich bin der Meinung, man sollte sowas fördern. Es gibt nicht so viele wie euch und die Priester machen keinen Unterschied, ob ihr nun die eine oder die andere Form der Magie verwendet. Und ich kann euch versichern, dass ich schon lange ein großer Unterstützer aller Magier bin, auch wenn einige, schlichtgesagt – und entschuldigt meine Sprache – größenwahnsinnige Arschlöcher werden. Es wäre so viel einfacher, wenn nicht immer wieder solche Gewalttäter unter euch wären. Ich verstehe auch nicht, warum alle immer so gerne Sachen in Brand stecken, zersprengen, wegschwemmen, zerbrechen, verbiegen, wegwehen oder in der Erde versinken lassen. Es gibt so viel bessere Verwendungen für Magie. Ich meine, hat in den letzten Jahrhunderten irgendein Magier ein Feld erblühen lassen? Oder einen Kranken geheilt? Oder hat jemandem bei der Arbeit geholfen? Gut, sowas wie Fliegen halte ich persönlich für überbewertet, aber was ich meine ist, es wäre mal was anderes. Magie kann so viel Spaß machen, versteht ihr? Und sie kann so nützlich sein. Man muss sie nicht immer nur dazu verwenden, sich selbst zu schützen oder jemandem wehzutun. Ich gebe ja zu, dass es schon gut ist, wenn man sich selbst schützt, vor allem wenn man es mit den Priestern zu tun bekommt. Und hierbei meine ich vor allem die Priester der Menschen. Die meisten anderen sind eigentlich ganz in Ordnung. Aber versteht ihr, was ich meine?“
Der Fremde schien nicht das Bedürfnis zu verspüren, Luft zu holen. Der Wortschwall ließ Pethen entgeistert zurück und er reagierte zuerst gar nicht auf die Frage, bis sein Verstand die Worte eingeholt hatte und er letztendlich doch den Kopf schüttelte.
„Ich meine, wir müssen uns alle helfen. Und ich bin in der glücklichen Lage euch helfen zu können. Ihr seid zwar ein Vindrir, ein Geistmagier, wie es die Ra-ula nannten, aber ein paar Tipps kann ich euch schon geben. Sagt, was habt ihr denn bisher schon alles selbst gelernt? Ich meine, ihr scheint euch ganz gut unter Kontrolle zu haben, und das ist eine Erleichterung, denn ich habe schon andere Vindrir gesehen, die sich selbst den Kopf weggebrannt haben. Kein schöner Anblick. Gerade leuchten die Augen noch blau und plötzlich beginnt Rauch aus Mund und Ohren zu steigen. Und dann, puff, platzen die Augen auf und man ist voller Blut, wenn man nicht schnell genug ausweichen konnte. Habt ihr manchmal Kopfschmerzen?“
Pethen hatte das Gefühl, dass ihn der Mann einfach überrollte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als ihm zu antworten: „Seit ein paar Monden nicht mehr.“
„Regelmäßiger deine Magie verwendet? Das ist gut. Und die Sicht verwendest du mit großer Leichtigkeit, wie ich schon festgestellt habe. Wie weit kannst du sehen?“
Die Frage kam unerwartet, vor allem, weil sich Pethen nie darüber Gedanken gemacht hat.
„Vielleicht hundert, zweihundert Schritte?“
„So leicht, wie du damit umgehst, solltest du problemlos aus die Stadt rausblicken können. Würde ich aber nicht empfehlen. Das kann ziemlich verwirrend werden, vor allem, wenn man nicht nur nach vorne kuckt. Das ist eins der Probleme bei euch Vindrir. Ihr seht überallhin. Eben nicht mit den Augen.“
„Das klappt sowieso nicht. Da sind zu viele Häuser im Weg. Bevor ich mich mit der Sicht durch alle Straßen geschlängelt habe, bin ich vor Erschöpfung umgefallen.“
Der Fremde sah ihn erstaunt mit großen Augen an und begann dann schallend zu lachen.
„Das ist gut.“ Schnell beruhigte er sich wieder. „Naja, eigentlich ist es eher traurig. Hör mal.“ Er trat näher an Pethen heran und deutete mit einem Zeigefinger auf dessen Kopf. „Die Häuser sind kein Hindernis für deine Sicht. Das ist nur in deinem Kopf. Auch die Entfernung stellt kein Problem dar, nur all die Dinge, die du siehst. Deswegen sieh nicht zu weit.“ Der Mann zögerte kurz, dann machte er ein bestürztes Gesicht. „Oh, entschuldigt. Ihr besteht ja auf dem ‚Ihr‘.“
Pethen fühlte sich wie bei einem der Übungskämpfe mit Hylei: Sie brachte ihn oft ganz einfach aus dem Gleichgewicht und sorgte mit jedem weiteren Angriff dafür, dass er es auch nicht wiederfand. Der Wortschwall des Fremden hatte die gleiche Wirkung auf seine Gedankengänge.
„Nichtsdestotrotz würde mich interessieren: mit wem seid ihr verbunden? Ich meine, der Faden, der euch folgt. Am anderen Ende muss jemand hängen, der euch nahe steht. Euer Meister?“ Der Mann blickte Pethen neugierig an. Als er jedoch keine Bestätigung erkennen konnte, fragte er weiter: „Ein Bruder? Vater? Mutter? Irgendwer anderes aus der Familie? Ein Feind?“ Er senkte den Kopf. „Ihr solltet wirklich dringend die Verbindung kappen. So kann er euch immer wieder finden.“
„Warum fragt ihr nach der Familie?“
„Warum nicht. Menschen haben immer eine Verbindung zu der Familie. Wichtiger jedoch noch ist, dass Magie immer wieder in den gleichen Familien auftaucht. Aber wen habt ihr euch zum Feind gemacht, der über das gleiche Talent wie ihr verfügt.“
„Davon weiß ich nichts“, log Pethen, obwohl er sich augenblicklich fragte, was mit diesem Priester sein mochte, dass er das gleiche Talent teilen sollte, wie ein Magier. Als er später an den kurzen Kampf zurückdachte, fiel ihm auch zum ersten Mal auf, wie ähnlich der Angriff des Priesters seiner eigenen Verteidigung gewesen war, der Kampf einer Energiewand gegen die andere. Das mochte nichts bedeuten, es gab dem jungen Magier jedoch Stoff zum Grübeln.
„Na gut. Ich sehe, dass ihr mir nicht traut. Wenn mir jemand folgt, bin ich auch immer besonders misstrauisch, nicht, dass das in letzter Zeit geschehen wäre.“ Der Fremde lächelte, wobei seine Augen fast traurig wirkten. „An eurer Stelle würde ich vermutlich die Stadt verlassen, sonst findet euch euer Feind. Aber so lange ihr hier seid, könnt ihr hier“, er deutete auf einen Balken an dem Schuppen, neben dem sie standen, „drei Striche in den Balken ritzen. Dann weiß ich, dass ihr mit mir sprechen wollt. Vielleicht nehmt ihr meine Hilfe ja doch noch an.“ Er ging an Pethen vorbei und nickte ihm dabei zu. „Seid vorsichtig.“ Damit ging er schnellen Schrittes auf die nächste Häuserecke zu und verschwand aus Pethens Sichtbereich.
Hylei lehnte sich neben ihn an die Schuppenwand.
„Was ist da gerade passiert?“ Der Feenling schüttelte nur den Kopf.
„Wer ist das? Hast du ihn noch verfolgen können?“
„Wäre sinnlos gewesen.“
„Warum?“
„Er ist zu schnell. Seine Beine. Er federte beim Gehen, als könnte er auf ein Dach springen.“
„Habe ich nicht drauf geachtet.“
„Ich weiß.“
„Können wir ihm trauen? Er scheint mit helfen zu wollen, aber woher weiß ich, dass er mich nicht trotzdem ausliefert?“ Hylei zog leicht die Schultern hoch, gerade so viel, dass Pethen es mit seiner magischen Sicht erkennen konnte. Sie wusste, dass er nicht mehr benötigte.
„Er hat mich gefunden. Er wusste, dass wir, ich meine ich, auf der Flucht bin. Und das mit dem ‚Faden‘, wie er das nennt, das ist unheimlich. Ich habe während des Tages versucht darauf zu achten und ich scheine wirklich eine Spur hinter mir herzuziehen. Überall wo ich langgehe. Ich kann es mir kaum länger ansehen als ein paar Herzschläge. Macht einen wirklich verrückt. Ist mir aber vorher nie aufgefallen. Kannst du es sehen?“ Sie schüttelte den Kopf, blickte ihn aber nicht an. „Wolltest du ihn nicht töten? Er stand die ganze Zeit da.“
Diesmal bewegte sich Hylei nicht. Sie hatte in ihrem Versteck gelegen und den Fremden beobachtet. Sie hatte sehr gute Ohren, weswegen sie das meiste verstanden hatte, sie hatte jedoch weniger auf die Worte als auf die Person selbst geachtet. Sie kannte Menschen und Feenlinge und wie sie sich bewegten. Feenlinge setzten ihre Schritte geschmeidiger, wedelten weniger mit den Armen und hielten sie grader. Sie waren in jeder Beziehung anmutiger. Aber dieser Mensch, der ihren Gefährten mit einer Wolke aus Worten eingenebelt hatte, versuchte sich wie ein Mensch zu bewegen, ließ aber immer wieder erkennen, dass sein Körper schneller war, kräftiger, gewandter. Es waren nur einzelne Gesten, oder wie er auf Pethens Agieren reagierte. Sie hatte noch nie jemanden gesehen, der so offensichtlich daran gewöhnt war, Kämpfe zu bestehen, ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen. Nur für einen Moment hatte sie mit dem Gedanken gespielt, eines ihrer Wurfhölzer zu ziehen. Aus irgendeinem Grund war sie sich jedoch sicher gewesen, dass sie ihn verfehlt hätte. Und genauso sicher war sie sich, dass die beiden zusammen gegen ihn weder körperlich noch mit ihrer Magie in einem Kampf hätten bestehen können, auch wenn sie für seine magischen Fähigkeiten nur Pethens Wort hatte.
Ihr Gefährte schien sie zu beobachten, während sie ihren Gedanken nachhing.
„Ich glaube, es war gut, dass du es nicht versucht hast. Aber was machen wir jetzt?“
Hylei zeigte nach Osten und Pethen musste nicht darüber nachdenken, was sie damit meinen konnte. Er stieß sich von der Wand ab.
„Morgen?“
Hylei nickte: „Am Osttor.“
„In der Früh?“
Hylei dachte nach.
„Lass uns auf dem Markt treffen. Nach der Arbeit.“
„Dann gehen wir mit den Bauern aus der Stadt. Und können noch etwas besorgen. Ja, besser.“
Sie sahen sich in die Augen, drehten sich fast gleichzeitig um und gingen in Richtung ihrer Unterkünfte. Erst als sie außer Reichweite des jeweils anderen waren begannen sie sich umzusehen, ob ihnen jemand folgte.
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