Feen 2: Pethen wird entdeckt

Samstag, 6. September 2014, 18:16
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Vier Tage, länger hatte es nicht gedauert. Dabei hatten sie sich so viel Mühe gegeben. Pethen und Hylei hatten sich nur einmal während dieser Zeit gesehen. Sie waren aneinander vorbeigegangen und hatten sich zugenickt, ganz leicht, fast unsichtbar. Sie hatten sich darauf geeinigt, sich alle zwei Tage einmal zu sehen, zwei Monate lang, nur um zu überprüfen, ob sie beide noch in Ordnung waren. Dann wollten sie weitersehen. Aber nach nur drei Tagen hatte man ihn schon entdeckt. Er wusste nicht, wie. Er hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen. Er hatte keine Magie verwendet. Er hatte, soweit er wusste, immer die Augen offen gehabt, wenn er sie offen haben sollte, und geschlossen, wenn er schlief.

Aber vermutlich hatte er nicht einmal gemerkt, dass er einen Fehler begangen hatte. Nur wie hatte ihn der Mann, der ihn bereits den ganzen Morgen beobachtete, entdeckt? Pethen hatte ihn zum ersten Mal gesehen, gleich als er zur Arbeit gekommen war. Da er seine blinde Sicht inzwischen nur noch mit einer Willensanstrengung unterdrücken konnte, sah er immer etwas mehr als andere Menschen. Nur auf diese Weise war er ihm aufgefallen. Trotzdem hatte er sich anfänglich nichts weiter dabei gedacht, auch wenn er Nichts dergleichen jemals zuvor gesehen hatte. Er wusste, dass er bisher kaum unterschiedliche Wesen mit dieser speziellen Sicht gesehen hatte, nur Menschen, eine Feenlingin und die paar Jaltus, wenn man von den Tieren und Pflanzen absah. Aber sie alle hatten auf irgendeine Weise geleuchtet, bei Manchen nur der Körper, bei anderen, wie Hylei, auch die Luft um den Körper herum, besonders, wenn sie die Magie an sich zog. Unabhängig davon, hatte dieses Leuchten immer annähernd die Form der Person selbst beibehalten.

Bei jenem Mann jedoch war alles verkehrt. Im ersten Moment schien er gar nicht zu leuchten. Dann wieder gingen einzelne leuchtende Strahlen von ihm aus. Er schien zu flackern wie eine Kerze, dann wieder musste Pethen sich abwenden, weil er Angst hatte, geblendet zu werden, was einerseits sehr schwer war, wenn man das Licht selbst mit geschlossenen Augen sehen konnte und andererseits vollkommen unnötig, denn nichts an seinem Körper hätte von diesem Licht, das die Augen nicht sahen, geblendet werden können.

Beim ersten Mal war es ihm nicht aufgefallen, denn der Mann war nur kurz in seinem Sichtfeld erschienen. Dann war er wieder verschwunden und Pethen hatte nicht mehr an ihn gedacht, weil die Arbeit ihn in Anspruch genommen hatte. Doch wenig später hatte er ihn bei einer Hausecke gesehen, von wo aus er ihm direkt in die Augen zu blicken schien. Es war erst das zweite Mal, dass er ihn sah, aber die Intensität dieses Blicks beunruhigte den jungen Mann.

Von da an tauchte der Fremden immer wieder auf, immer an einer anderen Stelle, immer nur für ein paar Augenblicke. Und jedes Mal hatte Pethen ihn ein wenig besser gesehen und es hatte ihn mehr und mehr beunruhigt. Der „Mann“, oder was auch immer der Beobachter sein mochte, musste über irgendeine Art der Magie verfügen. Pethen hatte nur Hylei als Maßstab, da sich seine Sicht zu sehr in den letzten Wochen gewandelt hatte. Er wusste nicht, wie stark Hyleis Magie tatsächlich war. Aber im Verhältnis zu dem Feuer, das den Fremden umgab, war Hylei nur ein Stück Kohle, aus dem ein paar kleine Flämmchen hervorflackerten.

Inzwischen hatte ihn der Vorarbeiter zweimal angeschrien, weil er immer wieder aufblickte und dadurch seine Arbeit vernachlässigte. Auch seine Kollegen warfen ihm böse Blicke zu.

Er brauchte diese Arbeit. Er brauchte das Geld. Er konnte sich keine Fehler erlauben. Deswegen versuchte er den fremden Magier zu ignorieren. Ihm wurde jedoch langsam bewusst, dass seine Sicht, die ihm nachts im Wald so gute Dienste geleistet hatte, auch ein Fluch sein konnte. Er machte seine Arbeit, strengte sich an, konzentrierte sich, schwitzte vom Schleppen und der Willensanstrengung. Trotzdem sah er ihn immer wieder. Die Häufigkeit nahm sogar zu und die Orte an denen er auftauchte wurden immer irritierender. Warum kletterte er auf Dächer, versteckte sich hinter Schuppen oder unterhalb eines Stegs? Entweder er wusste, dass Pethen ein Magier war, der ihn mit seinen besonderen Kräften sehen konnte, dann brauchte er sich nicht verstecken. Oder er wollte ihn beobachten, weil er sich nicht sicher war, dann hätte er sich bessere Orte aussuchen müssen.

Pethen konnte es nur mühsam bis zur Pause aushalten. Sobald der Schiffbaumeister das Signal gab, legte er das Holzstück ab, dass er gerade herbeigetragen hatte, und rannte geradewegs auf den Mann zu, der sich derzeit hinter einen Schiffsrumpf versteckte. Die anderen Arbeiter blickten ihm nach, sagten jedoch kein Wort. Sie wunderten sich nur über den schmächtigen Jungen, der sich alle Mühe gab, heute aber ein wenig abgelenkt zu sein schien.

Schon bevor Pethen den Rumpf erreicht hatte, war sein Ziel bereits wieder verschwunden. Er drehte sich im Kreis, um seine Umgebung abzusuchen. Zumindest tat er so, als wenn er seinen Blick über die Umgebung schweifen lassen würde, denn er wusste bereits, wo der Mann diesmal aufgetaucht war. Inzwischen wunderte er sich nicht mehr darüber, dass der Fremde von einem Ort verschwand und an einem auftauchte, ohne sich dorthin bewegt zu haben. In der Magierzuflucht hatte er nichts von einem solchen Zauber gehört, der es jemandem erlaubte, so schnell zu laufen, dass man ihn nicht mehr sah. Aber nach allem, was er gesehen hatte, musste der Magier mächtiger sein, als jeder andere, dem er bisher begegnet war. Er konnte sich nicht einmal vorstellen, wozu Hylei fähig wäre, wenn sie eine richtige Ausbildung erhalten würde, nach allem, was Pethen wusste, konnte der Fremde Berge versetzen.

Er machte sich wieder auf den Weg, diesmal rannte er jedoch nicht. Diesmal ging er langsam, auch wenn dies bedeutete, dass ihm kaum genügend Zeit bleiben würde, um am Ende seiner Pause wieder rechtzeitig an seinem Arbeitsplatz zu sein.

Schließlich traf er den Mann am Eingang einer Gasse, wo er auf Pethen zu warten schien.

„Schön, dass du gekommen bist. Was hat dich aufgehalten?“

„Wer seid ihr?“

„Oh, gleich eine Fragen. Meinst du, dass wir uns schon gut genug kennen?“

„Ich euch nicht, aber ihr beobachtet mich seit Sonnenaufgang.“

„Du hast mich gleich gesehen, oder?“ Pethen reagierte nicht, was den Fremden jedoch nicht zu stören schien. Er sprach einfach weiter. „Gestern hast du mich jedoch nicht gesehen, stimmt‘s? Da habe ich dich nämlich entdeckt. Du stichst ziemlich heraus, wenn man weiß, wonach man kucken muss. Zum Glück wissen das nicht viele hier. Ich kenn nur noch einen anderen, und der ist ein guter Freund. Aber du kannst es auch sehen, nicht wahr? Sonst hättest du mich nicht so leicht gefunden.“ Pethen konnte den Mann immer noch nur anstarren, seine Feindseligkeit ließ jedoch zu Gunsten seiner Verwirrung nach.

„Wir wissen beide, dass es für uns hier gefährlich ist. Deshalb sollten wir uns heute Abend irgendwo anders treffen. Allerdings solltest du wissen, dass du einen ziemlich dicken Faden hinter dir herziehst. Du bist mit jemandem verbunden, wenn ich mich nicht irre. Du solltest den Faden kappen. Wer weiß, was sonst dabei herauskommt.“ Der Fremde blickte in die Richtung von Pethens Arbeitsplatz. „Ich bin heute Abend wieder hier. Dann können wir weiterreden. In Ordnung?“

Diesmal nickte Pethen. „Wie konntet ihr euch so schnell bewegen? Kann ich das auch lernen?“

„Magie“ Der Mann lachte. „Was denkst du denn? Aber ich bin mir nicht sicher, ob du es lernen kannst. Ich bin kein Lehrer und deine Magie ist sowieso anders. Ich hab‘s mal die zweite Magie genannt, sehr zum Ärger eines Freundes“, er schmunzelte bei der Erinnerung, während Pethen bei diesen Worten vor Erstaunen der die Augen übergingen. Er hatte auf einer alten Tafel einen Vermerk gelesen zu dieser zweiten Magie. Sein Meister hatte vermutet, dass dies seine Magie wäre, was der Fremde jetzt zu bestätigen schien. Aber der Eintrag war so alt gewesen, dass niemand auch nur ahnte, wer ihn geschrieben haben könnte. Wenn der Mann vor ihm nicht einfach nur log, dann …

„Aber an deiner Stelle würde ich jetzt zurück gehen. Sonst verlierst du noch deine Arbeit.“

Pethen nickte ein zweites Mal und drehte sich um. Er rannte ohne auf seine Umgebung zu achten, konnte aber trotzdem sehen, wie der Fremde erneut verschwand, ohne dass er die Bewegung hatte wahrnehmen können.

 

Hylei war nicht begeistert, als Ihr Weggefährte ihr auf ihrem Heimweg auflauerte. Wahrscheinlich war es ein Glück, dass sie nur eines ihrer Wurfhölzer bei sich trug. Hätte sie ihr Messer dabei gehabt, Pethen hätte ernsthaft verletzt werden können. Er wusste nicht, wo sie ihre anderen Waffen untergebracht hatte, nur von ihrem Speer kannte er das Versteck, denn er war dabei gewesen, als sie auf einen Baum vor der Stadt geklettert war, und ihn an einen hochgelegenen Ast gebunden hatte.

„Was machst du hier?“ Hylei hatte ihm mit ihrem Ellenbogen einen Schlag in den Magen versetzt. Anschließend war ihr Fuß gegen ihren Hacken gestoßen und sie hatte ihm einen kräftigen Stoß gegen seine Brust versetzt. Nun lag er auf dem Boden, sein ganzer Körper schmerzte und seine Arme waren von ihren Knien fixiert, während er gebannt auf das Wurfholz in ihrer erhobenen Hand starrte.

Er versuchte zu antworten, kriegte jedoch kaum Luft und konnte nur vor Schmerzen ächzen. Mit einer geschmeidigen Bewegung verschwand das Holz wieder an Hyleis Körper und sie erhob sich. Pethen blieb noch einen Augenblick lang liegen, stand dann aber mühsam auf, indem er sich zuerst auf die Seite rollte und langsam hochstemmte. Er hustete noch einmal, bevor er antwortete. „Da war ein Mann. Er wusste, was ich war … bin.“

Hylei sah ihn mit diesem Blick an, den sie immer für ihn erübrigte, wenn er etwas in ihren Augen ausgesprochen Dummes getan hatte. „Ich habe nichts gemacht. Er hat mich einfach gefunden.“

Er versuchte es ihr unter ihren kritischen Blicken zu erklären, was nie leicht für ihn war. Hinzu kam, dass es schwer war, ihr die Begegnung und seine Eindrücke zu vermitteln, ohne das Wort Magie zu verwenden oder irgendetwas, das einem zufälligen Lauscher einen Hinweis auf ihre Fähigkeiten geben mochte. Gleichzeitig durfte er auch nicht die magische Fortbewegung des Magiers erwähnen, wollte Hylei jedoch begreiflich machen, wie mächtig dieser Mann sein musste. Je länger es dauerte, desto unruhiger wurden sie beide, bis Hylei schließlich einlenkte.

„Ich komme auch heute Abend. Warte aber nicht auf mich. Ich werde mich versteckt halten. Und erwähn mich bloß nicht.“

„Hab dich ja jetzt auch nichts über dich gesagt. Und so, wie er sich ausgedrückt hat, weiß er noch nichts von dir.“

„Versuch ihn ins Freie zu bekommen. Dann werde ich sehen, ob ich ihn töten kann.“


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