Feen 2: Meineke kehrt vom Markt zurück

Samstag, 4. Oktober 2014, 12:34
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Es hatte nur ein kurzer abendlicher Einkauf werden sollen. Die Hausdame hatte Rimma das Geld gegeben und ihnen das Benötigte von einem Zettel vorgelesen, zwei Mal, damit sie es sich auch merkten. Sheka hatte es für besser gehalten, ihr zu verschweigen, dass sie lesen konnte, ein Teil des einfachen, armen Gewandes, in das sie ihren Verstand kleidete, so wie sie jetzt einen alten Lumpen trug und ihre Haare nur noch selten wusch.

Sie hatte sich nicht verstellt oder gelogen, als sie sich in dem Haus Verigai vorgestellt hatte, sie hatte nur nicht so viel gesagt, wie noch an den Tagen zuvor. Die anderen Angestellten hielten sie für schweigsam und ein wenig langsam, aber das war Sheka, die sie nur als Mei-neke kannten, gleichgültig. Denn die Anstellung bedeutete, dass sie mit ihren Kindern in einer kleinen Kammer wohnen durfte. Ihr Bett war winzig und die Arbeit aufreibend, aber ihre Kinder waren versorgt, und das war, worauf es ankam.

Rimma war ein freundliches Mädchen. Sie arbeitete länger in diesem Haus, als sie sich erinnern konnte und schien Mei-neke ins Herz geschlossen zu haben, denn sie hatte ihr bereits am ersten Abend alles über sich erzählt, was ihr eingefallen war. Mei-neke fürchtete, dass das leider nicht besonders viel war, denn so freundlich sie auch war, ein bisschen dumm schien sie ebenfalls zu sein.

Aber jetzt lag sie mit einem Bolzen in der Schulter auf dem Boden der Küche und ihr Blut klebte an Mei-nekes Händen, ihrem Kinn, bedeckte ihr Kleid und ihre Schuhe.

Der Rückweg erschien Mei-neke immer noch unwirklich. Sie hatte Rimma auf den Armen getragen. Sie war gerannt, so gut es ging, aber selbst wenn das Mädchen schmächtig war und sie selbst starke Arme von der Arbeit auf dem Hof hatte, so war sie doch keine Kriegerin mehr, die täglich mit dem Schwert übte. Als sie den Dienstboteneingang des Hauses erreicht hatte, hatte sie mit dem Fuß dagegen getreten. Die Hausdame war sofort erschienen, hatte die Tür mit einigen unfreundlichen Worten über ihre Verspätung aufgerissen, und war verstummt, sobald sie das Elend vor der Tür gesehen hatte. Ohne ein Wort hatte Mei-neke sich an ihr vorbeigedrückt und war in die Küche gerannt, der Proteste nicht achtend, die die Hausdame sofort wieder hervorbrachte.

Als Prinzessin eines kriegerischen Volkes kannte sie sich mit den Wunden aus, die die verschiedensten Waffen rissen. Armbrüste wurden hoch im Norden nicht verwendet, ein Bolzen war jedoch einem Pfeil nicht allzu unähnlich. Sie hatte schon öfter Männer versorgt, die halbtot von den Streitigkeiten zwischen den Clans zurückgekehrt war. Einige wichtige Lektionen hatte sie jedoch von ihrem Mann gelernt, dessen Narben davon zeugten, dass bei seiner Arbeit nicht immer alles seinen Plänen entsprechend verlief.

Die Köchin stand mit den Händen vor dem Mund über der liegenden Rimma, sagte aber kein Wort. Tränen begannen ihr Gesicht hinunterzulaufen. Mei-neke suchte sich die Werkzeuge zusammen, die sie benötigen würde: Ein kleines, scharfes Messe, ein paar Küchentücher, eine Schale mit Wasser, dass die Bewohner des Hauses als frisch bezeichneten, weil sie noch nichts hineingetan hatten, einen Kochlöffel und eine Flasche des Brandweins, der für einige Speisen verwendet wurde. Die Hausdame sah ihr dabei mit großen Augen zu, bis sie den Wein nahm. Sie versuchte zu protestieren, wich aber vor den wilden Augen der neuen Dienstmagd zurück, die nicht wissen konnte, wie furchterregend ihr bleiches, blutverschmiertes Gesicht aussah.

Mei-neke legte den Löffel in Rimmas Mund, die sofort zubiss. Dann nahm sie das Messer, tränkte einen der Lappen mit Wein, wischte das Messer ab und begann, die Wunde zu vergrößern. Rimma, die von den Schmerzen auf dem Weg immer wieder in Ohnmacht gefallen war, wimmerte und bäumte sich auf.

„Halt sie fest!“ befahl Mei-neke der Köchin und der Ton in ihrer Stimme duldete keinen Widerspruch. Sie selbst fixierte einen Arm mit den Knien, während die ältere Frau den anderen Arm und den Oberkörper übernahm. Ungebeten aber nicht unerwünscht kniete sich auch die Hausdame nieder und hielt die Beine fest.

Mei-neke arbeitete schnell. Wenn man die ersten Krieger unter den eigenen, langsamen Schnitten hatte schreien hören, lernte man, sich zu beeilen. Sie hatte befürchtet, dass sie den Bolzen wie einen Kriegspfeil mit Widerhaken durch die Schulter hätte drücken müssen, um ihn überhaupt herauszubekommen. Die Spitze saß jedoch fest genug am Schaft, nicht tief und besaß vor allem keine Widerhaken, so dass sie ihn, nachdem die Wunde etwas größer war, herausziehen konnte. Sie goss etwas von dem Wein in die Wunde, wie Enk es ihr gezeigt hatte, und hoffte, dass das Getränk stark genug war, die Wunde zu säubern.

Rimma bäumte sich diesmal nur kurz auf und fiel wieder in Ohnmacht. Mei-neke verlangte jetzt nach Nadel und Faden, die die Hausdame immer in ihre Tasche bei sich trug. Beides zog sie durch den Wein, den sie dafür in die Schale schüttete.

Als sie mit dem Nähen begann, wandte sich die Köchin ab und übergab sich geräuschvoll.

 

Die Ereignisse in der Küche sprachen sich schnell im Haus herum. Spätestens nachdem der Hausdiener Rimma ins Bett getragen hatte, begannen die anderen Angestellten untereinander zu flüstern. Mei-neke hatte noch lange erschöpft auf dem Küchenboden gesessen, während ein anderes Mädchen begann, den Boden um sie herum zu wischen. Sie erhob sich erst, als die Hausdame ihr die Hand reichte und sie auf einen Hocker zog. Mit einem freundlichen Lächeln reichte sie ihr einen Becher mit dem Rest des Brandweins und ließ anschließend die Flasche auf den Boden fallen. Als das Mädchen aufschaute, hielt sie nur mit strenger Miene den Zeigefinger vor den Mund und setzte sich neben die neuste Angestellte.

„Was ist geschehen?“

Mei-neke zögerte, zu benommen von dem Erlebten. Mit etwas Ehrfurcht in der Stimme stellte die Hausdame darum eine weitere Frage.

„Woher wusstest du, was du da machen musstest? Bist du eine Heilerin?“

„Sie haben einfach auf alle geschossen.“ Mit diesen Worten brach der Damm, der eben noch ihre Gefühle zurückgehalten hatte und sie begann hemmungslos zu weinen. Sie hatte zu kämpfen gelernt und sie hatte die Verwundeten gesehen, aber sie hatte nie selbst an einem Kampf teilnehmen müssen. Die Hausdame streichelte sie vorsichtig, gleichsam bemüht, Trost zu spenden und nicht mit dem Blut in Kontakt zu kommen.

Schließlich erzählte Mei-neke, was sie auf dem Markt erlebt hatten. Wie die Priester plötzlich erschienen waren und alle vor sich her getrieben hatten. Wie sie erst nur langsam zurückgewichen waren, bis auf einmal alle von einer unerklärlichen Angst erfüllt gewesen waren. Wie Rimma neben ihr gestürzt war. Wie sie sie aufgehoben hatte und mit ihr weitergerannt war.

Die Hausdame wartete noch eine ganze Weile, nachdem Mei-neke geendet hatte. Eigentlich hatten sie keine Zeit, um hier zu sitzen und zu plaudern. Die ältere Frau hatte jedoch etwas in der neuen Aushilfe entdeckt, dass nicht zu ihrer vorgeblich bescheidenen und tumben Art passte, die sie bisher zur Schau gestellt hatte. Hatte sie sich bisher nur ein wenig zu Aufrecht für eine Magd gehalten, zeigte ihre Kenntnis der Wundbehandlung und der Ton, in dem sie von ihrer Vorgesetzte Nadel und Faden gefordert hatte, dass mehr hinter der grauen Fassade steckte. Dass sie nicht aus dieser Gegend stammte, zeigte schon ihr Dialekt, obwohl die Hausdame nicht hätte sagen können, wo man so sprach wie Mei-neke. Ihre Kinder besaßen einige ihrer Redewendungen, ihr Dialekt war jedoch ein anderer. Was sie in ihrer Heimat jedoch gelernt haben mochte, konnte sie nicht erahnen. Sehr wahrscheinlich hatte sie einmal eine Position inne gehabt, in der sie anderen Befehle erteilen musste.

„Wer bist du wirklich Mei-neke?“

Die Frau sah sie mit von Tränen geschwollenen Augen an. Vorsichtig, aber nicht feindlich.

„Du bist keine Magd.“

„Ich bin es jetzt.“ Selbst diese Worte klangen Stolz.

„Ich bin nicht sicher, ob ich es gegen den Herrschaften verantworten kann, dich im Haus zu haben.“ Der Stolz verflog und machte der Furcht Platz.

„Bitte. Ich bin keine Diebin. Ich werde niemandem etwas tun. Das schwöre ich beim Blut meiner Ahnen.“

„Dann sag mir, wer du warst.“

„Nur eine einsame Mutter. Mein Mann ist nicht mehr, mein Haus ist niedergebrannt. Aber ich bin eine ehrliche Frau. Alle meine Kinder sind im Ehestand gezeugt. Alles, was ich besitze, habe ich ehrlich erworben.“ Mei-neke achtete sehr genau auf ihre Worte. Enk hatte ihr immer wieder eingeschärft, so wenig wie möglich zu lügen.

„Das hast du mir alles schon erzählt. Aber warum weißt du, wie man Wunden behandelt? Warum hast du den Brandwein verwendet? Was hast du früher getan?“

„Ich bin an einem Ort aufgewachsen, wo die Frauen daran gewöhnt sind, dass die Männer immer wieder in den Kampf ziehen und verwundet heimkehren. Mein Mann hat mir viel über die Heilkunst beigebracht. Er hat mir gezeigt, dass die gegorenen Getränke dabei helfen, die Wunden zu säubern und giftige Dämpfe und Ungeziefer vertreiben. Mein Mann war sehr klug und er hat mir viel beigebracht. Aber ich war nur eine Bäuerin.“

„Mhm, da fehlt immer noch etwas, aber ich werde dich noch hier behalten. Gib dir Mühe, Mei-neke.“ Sie stand auf und deutete der Magd, es ihr gleichzutun.

„Was ist mit Rimma?“

„Was?“

„Jemand muss sich um sie kümmern.“

„Du hast andere Aufgaben.“

„Ich meine auch nicht mich. Aber meine Jungs können bei ihr bleiben.“

Die Hausdame lächelte und Mei-neke wusste, dass sie ihr, nach allem, was sie gesagt hatte, trotzdem wohlgesonnen war. „Sie sollen aber leise sein.“


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