Feen 2: Owithir kehrt zurück in den Tempel

Mittwoch, 29. Oktober 2014, 22:03
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Owithir graute davor, in den Tempel zurückzukehren. Nach all der Zeit, nach der langen Jagd, war aus der Gefangennahme eine vollkommene Katastrophe geworden. Laftin und Kalig trugen Tafgen, während er, Reigerin und die anderen Wächter hinter ihnen her stapften. Reig versuchte ihn zu stützen, und manchmal hielt er sich an ihrer Hand fest, wenn der Schmerz in seiner verstümmelten Rechten erneut aufflammte, ansonsten versuchte er jedoch aufrecht und vor allem allein zu gehen.

Er machte sich Sorgen um Tafgen, den der Angriff des Hexers weit durch die Gegend geschleudert hatte. Seitdem hatte der Wächter noch nicht das Bewusstsein zurückerlangt.

Wie hatte es dazu kommen können? Warum hatte er sich so überrumpeln lassen? Er wusste, dass seine Männer dem Hexer die Schuld gaben. Dass er sie getäuscht hatte, um an Owithir heranzukommen. Er selbst hatte es ebenfalls für einen Moment geglaubt. Inzwischen war er sich jedoch nicht mehr sicher. Der Mann hatte erst zu seinem Messer gegriffen, als Tafgen es erwähnt hatte. Er hatte es den Kampf über nicht einmal berührt und am Ende sogar versucht, die Hexe umzustimmen. Gewiss, die Frau hatte mehrere Wachen getötet, aber erst nachdem auf sie geschossen worden war. Owithir konnte nicht einmal mehr sagen, wer nun den Kampf begonnen hatte. Hatte Tafgen zuerst geschossen, oder war der Angriff von dem Hexer ausgegangen. Er glaubte, dass es ersteres gewesen war, aber es war alles so schnell gegangen, so unglaublich schnell.

Als wahrer Gläubiger, als Priester, der die Hexer wochenlang verfolgt hatte, hätte er sie, wenn schon nicht hassen, dann doch wenigstens verdammen sollen. Aber was hatten die beiden die ganze Zeit über getan, was er an ihrer Stelle nicht ebenso gemacht hätte? Sie hatten sich verteidigt. Sie hatten gestohlen, weil ihnen keine andere Wahl blieb. Wer war für das Leid, dass sie verursacht hatten, verantwortlich? Sie selbst, weil sie nicht sterben wollten, oder ihre Verfolger, die ihnen keine andere Wahl ließen?

War er zu sanft? War er zu gutmütig? War sein Glaube nicht stark genug? Folgte er überhaupt noch den Pfaden, die die Oberen seines Ordens für die Gläubigen vorgegeben hatten? Und, in diesem Moment vielleicht noch wichtiger, folgte er noch den Geboten, die ihn in den Augen der Priester von Sonne und Schwert zu einem wahren Gläubigen machten? Vermutlich nicht, denn er hatte niemals einen anderen Priester Partei für Dämonenbeschwörer und Hexer ergreifen hören. Selbst die größten Kirchenphilosophen ließen keinen Zweifel an der Verderbtheit der Herzen jedes Lebewesens, welches diese höllischen Praktiken ausübte.

Tief in Gedanken durchschritt er die Pforte des Tempels. Der Abt erwartete sie bereits und wies ihnen den Weg zur Krankenstube, wo sie schon einen der anderen Wächter vorfanden. Owithir hätte den Weg ohne Weisung gefunden, war jedoch dankbar, dass er nur den anderen zu folgen brauchte.

Sobald sie den Raum betraten, kam einer der diensttuenden Heiler auf Owithir zu, der jedoch abwinkte und ihn auf Tafgen verwies. Nur widerstrebend kümmerte sich der Mann zuerst um den Wächter. Zwei der unverletzten Waffenträger aus der anderen Gruppe standen bei ihrem verwundeten Freund und musterten Owithir mit versteinerten Gesichtern. Er konnte ihre Feindseligkeit spüren, verdrängte sie jedoch aus seinem Bewusstsein, was ihm leicht fiel, da die Schmerzen immer wieder seine ganze Welt auszufüllen schienen. Deswegen bemerkte er nicht, wie Marinam den einen der beiden ansprach.

Marinam kannte den Mann seit Jahren und hatten verschiedentlich gemeinsam mit ihm gedient. Auch er hatte gesehen, auf welche Weise sein Priester gemustert worden war und wandte sich flüsternd an seinen Freund.

„Garevak, ein Wort.“ Der Angesprochene beugte sich misstrauisch Marinam entgegen.

„Ich hab gesehen, wie du Hochehrwürden Owithir angesehen hast.“

„Und?“

„Wenn du tatsächlich so dumm bist, ihm die Schuld für den Markt zu geben, dann bist du ein noch größerer Chuorschnüffler, als der Priester, der euch geführt hat.“

Plötzlich standen sich die beiden so nahe, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Garevak presste sich Marinam entgegen, man konnte jedoch spüren, dass er nur halbherzig seinen eigenen Anführer verteidigte.

„Es war seine Aufgabe. Er hatte die Führung und ihr habt euch von den Hexern einseifen lassen.“

„Und ihr habt in die Menge geschossen.“

„Wir haben auf die Hexer geschossen. Trifft halt nicht jeder.“

„Trift halt nicht jeder? Ihr habt gar nicht getroffen und der Befehl war, soweit ich mich erinnere, vorsichtig vorzugehen. Hättet ihr nicht so blind unschuldige getötet, hätte Hochehrwürden Owithir vielleicht die Gabe verwenden können, die ihn die Götter gegeben haben.“

„Was redest du für einen Kot? Ihr wart außer Gefecht und euer Priester hat’s die Hand verbrannt.“

„Er ist ein heiliger Mann. Nur durch seine Gabe haben wir die Hexer bis hierher verfolgen können. Er hat alleine eine Hexe getötet und den anderen beiden widerstanden und sie zur Flucht gezwungen. Er hätte sie besiegen können, wenn ihr nicht so einen Gesmist angerichtet hättet.“

„Du, Marinam, verteidigst einen Pfaffen? Seit wann bist du auf ihrer Seite?“

„Ich bin nicht auf ihrer Seite. Aber Hochehrwürden ist anders. Er ist Aufrecht. Er bezahlt.“

Garevak lachte leise aber herzlich, bis er sah, dass diese simple Feststellung seines Gegenübers für diesen tatsächlich eine tiefere Bedeutung besaß. „Und weil er bezahlt ist er besser? Bist du jetzt plötzlich Wirt oder Händler?“

„Verstehst du nicht? Er nutzt die Bauern nicht aus. Hat mich zuerst auch nicht interessiert, bis ich begriffen habe, dass er auch uns nicht ausnutzt. Er behandelt alle mit Respekt und Freundlichkeit.“ Erneut wollte Garevak lachen, denn Freundlichkeit war keine Verhaltensweise, die er besonders beachtenswert fand. Eher betrachtete er sie als Schwäche. Marinam, der dieses Denken nur zu gut von sich selbst kannte, setzte seine Rede fort: „Du weißt wohl nicht, was Hochehrwürden hier im Tempel Jahre lang gemacht hat, oder?“ Dabei deutete er mit dem Kopf nach unten. Als er in Garevaks Augen nur mühsames Verstehen erkennen konnte, fügte er hinzu: „Er hat mehr Befragungen in den Kellern miterlebt und ausgeführt, als wir alle zusammen. Es heißt, er allein hätte mehr Geständnisse aus Hexern herausgeholt, als alle Priester vor ihm zusammen. Und er ist trotzdem freundlich zu uns. Und gerecht.“

Jetzt änderte sich Garevaks Gesichtsausdruck und man konnte sehen, dass ein neuer Respekt vor Owithir in ihm wuchs, entstanden auch aus der Angst, den die meisten Menschen berechtigter Weise vor den Inquisitoren Veshtajoshs empfanden. Dennoch wagte er einen letzten Verteidigungsversuch: „Trotzdem sind Freunde von mir da draußen ermordet worden.“

„Was nicht passiert wäre, wenn euer Priester nicht verrückt gespielt hätte.“ Marinam sah dem Kommilitonen hart in die Augen. Dann entspannte er sich plötzlich.

„Er ist der beste Pfaffe, unter dem ich je gedient habe. Weißt du noch Menbryk? Da haben wir uns gewundert, warum die Inquisitoren alles noch schlimmer gemacht haben. Hochehrwürden Owithir wäre das nicht passiert. Glaub mir, mehr wie er, und unser Leben wäre einfacher.“

Garevak war ein einfacher Waffenträger, durch den Dienst bei dem einen oder anderen Priesters an einiges gewöhnt worden. Wenn man wie er jedoch mehr als nur einmal dem Tod ins Auge gesehen hatte, weil die Menschen, die man angeblich schützte, stattdessen die Hexer unterstützten, die man für sie jagte, dann kam auch ein einfacher Waffenträger ins Grübeln. Deswegen nickte er Marinam zu und hing neuen Gedanken nach. Ein weiterer Same, der wachsen und Früchte tragen würde.

 

Owithir hatte inzwischen einen schmerzstillenden Trunk eingeflößt bekommen, der nicht nur die Agonie abschwächte, sondern auch seine Sinne benebelte, so dass er nicht bemerkte, wie Reigerin die gesamte Zeit neben ihm sitzen blieb. Auch den Wechsel seiner Wächter an seiner Seite bekam er nicht mit, oder dass die Liege des fremden Wächters verwaiste. Nur einmal riss ihn ein neuer Schmerz aus seinem Dämmerzustand, ließ ihn aber sofort in eine Bewusstlosigkeit fallen, aus der er erst viel später wieder erwachte, als jemand an seinem Arm zog.

Er machte seine Augen nicht sofort auf, sah aber trotzdem, was um ihn herum geschah. Reig stand etwas abseits und streckte sich gerade, Laftin, der raue Kerl mit seinen vielen Narben, blickte besorgt auf ihn herab. Auch Tafgen, auf einer benachbarten Liege, stützte sich auf und betrachtete das, was der Mönch an Owithirs Unterarm tat.

Auch er richtete jetzt seine Aufmerksamkeit dorthin, wo einmal seine Hand gewesen war. Es überraschte ihn, dass er in diesem Moment nicht mehr empfand als eine leise Trauer. Der Stumpf schmerzte, aber der Balsam auf der Naht und die Droge, die immer noch in seinem Blut schwamm, ließen es ihn kaum bemerkten.

Er öffnete die Augen und blickte in das mitleidige Gesicht des Mönchs.

„Hochehrwürden. Ihr seid wach. Wie gut. Wir hatten uns Sorgen um euch gemacht.“

Owithir drehte vorsichtig den benommenen Kopf, so dass er den Verband um seinen Stumpf mit seinen Augen sehen konnte. Reigerin erschien auf der anderen Seite, mit Tränen in den Augen.

„Warum weinst du, Reig?“ lallte er.

„Eure Hand, Wohlehrwürden. Es ist so furchtbar.“

„Es ist nur eine Hand. Ich habe noch eine zweite. Sei nicht traurig. Du hast mir das Leben gerettet, auch wenn du mir nicht gehorcht hast.“

„Hochehrwürdiger Herr, bitte verzeiht ihr. Sie meinte es nur gut.“ Laftins Stimme klang fast flehend.

„Ich weiß, Laftin.“ Er versuchte zu nicken, aber bereits im Ansatz drehte sich die Welt um ihn herum. „Tafgen, du bist wohlauf?“

„Noch nicht, Hochehrwürdiger Herr, aber in zwei Tagen wollen sie mich hier raus haben.“

Owithir drehte vorsichtig seinen Kopf zu dem Mann, rang sich ein verkrampftes Lächeln ab und übergab sich wieder dem Rausch.



Webfind: was haben die anderen gemacht

Dienstag, 28. Oktober 2014, 16:33
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Sitze gerade an einer PayPal-Express-Integration und habe in der Doku dazu folgenden schönen Satz gefunden

43 % aller PayPal-Nutzer in Nordamerika haben PayPal schon einmal genutzt.

(unter PayPal)

Da fragt man sich, was die anderen mit PayPal gemacht haben.



Feen 2: Enk evaluiert

Montag, 20. Oktober 2014, 21:23
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Sheka war in Imanahm! Sie hatte es bis hierher geschafft. Es schien unwirklich, dass sie sich beide in dieser Stadt befanden, ohne dass er sich ihr zeigen konnte. Andere hätten sie vielleicht nicht wiedererkannt, zumal über die Entfernung und zwischen den Marktständen. Ihn hätte jedoch keine Verkleidung jemals täuschen können. Ihre Bewegungen waren ihm zu vertraut. Wie sie ihren Kopf hoch hielt, ihre Schultern nach hinten schob, die Hände hob, wenn sie nach etwas griff. Sein Herzschlag hatte ausgesetzt. Er hatte nicht anders gekonnt, als sie im Auge zu behalten. Er musste verhindern, ihr zu begegnen, und dazu musste er wissen, wo sie und seine Kinder untergekommen waren. Der Teil seines Verstands, der immer über seine Gedanken und seine Handlungen wachte, hatte ihn einen Lügner gescholten, denn natürlich wollte er es auch aus dem schädlichsten aller Gründe wissen.

Auf die Entfernung konnte er jedoch nicht erkennen, wie es ihr ging und sein Interesse an ihr hatte ihn lange genug abgelenkt, dass er die Priester und ihre Wächter erst bemerkt hatte, als sie bereits damit begonnen hatten, auf dem Markt auszuschwärmen. Zwei Priester und fünfundzwanzig Wächter, ungleich verteilt jedoch. Unruhig hatte er ihr Vorgehen beobachtet. Der eine Priester, selbstzufrieden, arrogant und forsch, hatte seine große Gruppe rücksichtslos durch die Gassen geführt, während der andere wesentlich besonnener um die Stände herumgegangen war und seinen Männern kaum Befehle hatte erteilen brauchen. Dann waren auch diese in den Markt vorgedrungen und Enk hatte begonnen, sich ernsthaft Sorgen um seine Frau zu machen. Natürlich konnte es sich bei einem solchen Vorgehen nur um eine Jagd auf Verbrecher oder Häretiker handeln – in den Augen der Tempel ein und dasselbe. War Sheka durch irgendetwas aufgefallen, weil sie fremd war oder etwas Ungebührliches gesagt hatte, oder ging es um jemand anderen? Gleichgültig, was es war, sie konnte leicht in die Schusslinie der Armbrüste geraten können.

Was dann geschah ließ ihn die Zähne zusammenbeißen und nach seinen Waffen greifen, auch wenn er wusste, dass er von seiner Position aus nichts für seine Frau hätte tun können, selbst dann nicht, wenn er in Kauf genommen hätte, entdeckt zu werden.

Dann hatten sich die Ereignisse überschlagen und wäre er jemand gewesen, der an dem Zeugnis seiner Augen zweifelte, er hätte nicht geglaubt, was er dort gesehen hatte.

Erst ein einziges Mal hatte er einen Magier im Kampf erlebt, auch wenn er schon einige mehr getroffen und sogar kennengelernt hatte. Der Kampf zwischen Magiern war etwas neues für ihn, vor allem, wenn man berücksichtigte, dass der eine Magier ein Priester war. Er hatte jedoch nicht viel von ihrem Kampf sehen können, denn er hatte versucht, seine Frau in dem Gedränge auszumachen. Als die ersten Bolzen geflogen waren, wäre er vor Sorge fast gestorben. Hätte er nicht bald darauf seine Gattin den Marktplatz verlassen sehen, mit dem Körper einer fremden Frau auf den Armen, er wäre hinuntergegangen und hätte vollkommen kostenlos jeden einzelnen der Wächter, ihren Anführer und vermutlich jeden anderen Priester, der ihm über den Weg gelaufen wäre, umgebracht, oder wäre bei dem Versuch gestorben.

Irrational. Und hinderlich für seinen Auftrag. Denn diese Ablenkung hatte dazu geführt, dass er nicht mitbekommen hatte, wie Estron und der eine Mensch, mit dem er unterwegs gewesen war, am Rande des Marktes erschienen waren. Erst die eine heftige Bewegung, von der er nur noch das Ende bemerkte, lenkte seine Aufmerksamkeit wieder von Sheka ab. Das wenige, das er gesehen hatte, ließ ihn darauf schließen, dass auch dort Magie gewirkt worden war und dass entweder Estron oder sein Freund sowie die Magierin, die mit den Wächtern gekämpft hatte, daran beteiligt gewesen waren. Als auch der junge Magier zu der Gruppe gestoßen war, hatten sie den Markt verlassen und waren in einer Gasse verschwunden.

Enk hatte noch einmal einen Blick in die Richtung geworfen, in die Sheka verschwunden war, dann war er vom Dach heruntergeglitten, um näher an Estron heranzugelangen.

Seitdem schlich er durch Imanahm und war sich nicht sicher, ob er seine Frau, oder seinen alten Reisegefährten suchte. Am Markt hatte er noch für einen Augenblick Estrons Spur aufnehmen können, doch durch irgendeinen Trick waren sie ihm, dem Gach-Ensh, dem besten gedungenen Mörder dieser Generation, in den Gassen entwischt. Die Richtung, in die sie verschwunden waren, führte zu einem der besseren Stadtteile Imanahms, aber auch durch ihn hindurch zu einigen weniger guten Vierteln. Da sie ihn jedoch abgehängt hatten, war diese Richtung so gut wie jede andere, zumal sie anfangs keine Haken geschlagen hatten. Außerdem hatten sie frische Kleidung getragen und sahen sauberer aus, als die meisten Menschen, denen Enk für gewöhnlich begegnete, was ebenfalls für eine vornehme Unterkunft sprach.

Er würde weitere Erkundigungen einholen, auf der Lauer liegen müssen. Sein Instinkt sagte ihm jedoch, dass er auf der richtigen Spur war.

 



Verzögerung

Mittwoch, 15. Oktober 2014, 21:39
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Nachdem ich eine neue Stelle angenommen habe, bin ich derzeit ein wenig im Stress und daher gibt es einige Verzögerungen.

Dafür gibt es jetzt aber erst einmal das nächste Kapitel der Feldstraßler, die damit erst einmal wieder abgeschlossen sind:

Teil 101



Kargerheim kehrt zurück

Sonntag, 5. Oktober 2014, 20:44
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Hurra, Kapitel 100



Feen 2: Meineke kehrt vom Markt zurück

Samstag, 4. Oktober 2014, 12:34
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Es hatte nur ein kurzer abendlicher Einkauf werden sollen. Die Hausdame hatte Rimma das Geld gegeben und ihnen das Benötigte von einem Zettel vorgelesen, zwei Mal, damit sie es sich auch merkten. Sheka hatte es für besser gehalten, ihr zu verschweigen, dass sie lesen konnte, ein Teil des einfachen, armen Gewandes, in das sie ihren Verstand kleidete, so wie sie jetzt einen alten Lumpen trug und ihre Haare nur noch selten wusch.

Sie hatte sich nicht verstellt oder gelogen, als sie sich in dem Haus Verigai vorgestellt hatte, sie hatte nur nicht so viel gesagt, wie noch an den Tagen zuvor. Die anderen Angestellten hielten sie für schweigsam und ein wenig langsam, aber das war Sheka, die sie nur als Mei-neke kannten, gleichgültig. Denn die Anstellung bedeutete, dass sie mit ihren Kindern in einer kleinen Kammer wohnen durfte. Ihr Bett war winzig und die Arbeit aufreibend, aber ihre Kinder waren versorgt, und das war, worauf es ankam.

Rimma war ein freundliches Mädchen. Sie arbeitete länger in diesem Haus, als sie sich erinnern konnte und schien Mei-neke ins Herz geschlossen zu haben, denn sie hatte ihr bereits am ersten Abend alles über sich erzählt, was ihr eingefallen war. Mei-neke fürchtete, dass das leider nicht besonders viel war, denn so freundlich sie auch war, ein bisschen dumm schien sie ebenfalls zu sein.

Aber jetzt lag sie mit einem Bolzen in der Schulter auf dem Boden der Küche und ihr Blut klebte an Mei-nekes Händen, ihrem Kinn, bedeckte ihr Kleid und ihre Schuhe.

Der Rückweg erschien Mei-neke immer noch unwirklich. Sie hatte Rimma auf den Armen getragen. Sie war gerannt, so gut es ging, aber selbst wenn das Mädchen schmächtig war und sie selbst starke Arme von der Arbeit auf dem Hof hatte, so war sie doch keine Kriegerin mehr, die täglich mit dem Schwert übte. Als sie den Dienstboteneingang des Hauses erreicht hatte, hatte sie mit dem Fuß dagegen getreten. Die Hausdame war sofort erschienen, hatte die Tür mit einigen unfreundlichen Worten über ihre Verspätung aufgerissen, und war verstummt, sobald sie das Elend vor der Tür gesehen hatte. Ohne ein Wort hatte Mei-neke sich an ihr vorbeigedrückt und war in die Küche gerannt, der Proteste nicht achtend, die die Hausdame sofort wieder hervorbrachte.

Als Prinzessin eines kriegerischen Volkes kannte sie sich mit den Wunden aus, die die verschiedensten Waffen rissen. Armbrüste wurden hoch im Norden nicht verwendet, ein Bolzen war jedoch einem Pfeil nicht allzu unähnlich. Sie hatte schon öfter Männer versorgt, die halbtot von den Streitigkeiten zwischen den Clans zurückgekehrt war. Einige wichtige Lektionen hatte sie jedoch von ihrem Mann gelernt, dessen Narben davon zeugten, dass bei seiner Arbeit nicht immer alles seinen Plänen entsprechend verlief.

Die Köchin stand mit den Händen vor dem Mund über der liegenden Rimma, sagte aber kein Wort. Tränen begannen ihr Gesicht hinunterzulaufen. Mei-neke suchte sich die Werkzeuge zusammen, die sie benötigen würde: Ein kleines, scharfes Messe, ein paar Küchentücher, eine Schale mit Wasser, dass die Bewohner des Hauses als frisch bezeichneten, weil sie noch nichts hineingetan hatten, einen Kochlöffel und eine Flasche des Brandweins, der für einige Speisen verwendet wurde. Die Hausdame sah ihr dabei mit großen Augen zu, bis sie den Wein nahm. Sie versuchte zu protestieren, wich aber vor den wilden Augen der neuen Dienstmagd zurück, die nicht wissen konnte, wie furchterregend ihr bleiches, blutverschmiertes Gesicht aussah.

Mei-neke legte den Löffel in Rimmas Mund, die sofort zubiss. Dann nahm sie das Messer, tränkte einen der Lappen mit Wein, wischte das Messer ab und begann, die Wunde zu vergrößern. Rimma, die von den Schmerzen auf dem Weg immer wieder in Ohnmacht gefallen war, wimmerte und bäumte sich auf.

„Halt sie fest!“ befahl Mei-neke der Köchin und der Ton in ihrer Stimme duldete keinen Widerspruch. Sie selbst fixierte einen Arm mit den Knien, während die ältere Frau den anderen Arm und den Oberkörper übernahm. Ungebeten aber nicht unerwünscht kniete sich auch die Hausdame nieder und hielt die Beine fest.

Mei-neke arbeitete schnell. Wenn man die ersten Krieger unter den eigenen, langsamen Schnitten hatte schreien hören, lernte man, sich zu beeilen. Sie hatte befürchtet, dass sie den Bolzen wie einen Kriegspfeil mit Widerhaken durch die Schulter hätte drücken müssen, um ihn überhaupt herauszubekommen. Die Spitze saß jedoch fest genug am Schaft, nicht tief und besaß vor allem keine Widerhaken, so dass sie ihn, nachdem die Wunde etwas größer war, herausziehen konnte. Sie goss etwas von dem Wein in die Wunde, wie Enk es ihr gezeigt hatte, und hoffte, dass das Getränk stark genug war, die Wunde zu säubern.

Rimma bäumte sich diesmal nur kurz auf und fiel wieder in Ohnmacht. Mei-neke verlangte jetzt nach Nadel und Faden, die die Hausdame immer in ihre Tasche bei sich trug. Beides zog sie durch den Wein, den sie dafür in die Schale schüttete.

Als sie mit dem Nähen begann, wandte sich die Köchin ab und übergab sich geräuschvoll.

 

Die Ereignisse in der Küche sprachen sich schnell im Haus herum. Spätestens nachdem der Hausdiener Rimma ins Bett getragen hatte, begannen die anderen Angestellten untereinander zu flüstern. Mei-neke hatte noch lange erschöpft auf dem Küchenboden gesessen, während ein anderes Mädchen begann, den Boden um sie herum zu wischen. Sie erhob sich erst, als die Hausdame ihr die Hand reichte und sie auf einen Hocker zog. Mit einem freundlichen Lächeln reichte sie ihr einen Becher mit dem Rest des Brandweins und ließ anschließend die Flasche auf den Boden fallen. Als das Mädchen aufschaute, hielt sie nur mit strenger Miene den Zeigefinger vor den Mund und setzte sich neben die neuste Angestellte.

„Was ist geschehen?“

Mei-neke zögerte, zu benommen von dem Erlebten. Mit etwas Ehrfurcht in der Stimme stellte die Hausdame darum eine weitere Frage.

„Woher wusstest du, was du da machen musstest? Bist du eine Heilerin?“

„Sie haben einfach auf alle geschossen.“ Mit diesen Worten brach der Damm, der eben noch ihre Gefühle zurückgehalten hatte und sie begann hemmungslos zu weinen. Sie hatte zu kämpfen gelernt und sie hatte die Verwundeten gesehen, aber sie hatte nie selbst an einem Kampf teilnehmen müssen. Die Hausdame streichelte sie vorsichtig, gleichsam bemüht, Trost zu spenden und nicht mit dem Blut in Kontakt zu kommen.

Schließlich erzählte Mei-neke, was sie auf dem Markt erlebt hatten. Wie die Priester plötzlich erschienen waren und alle vor sich her getrieben hatten. Wie sie erst nur langsam zurückgewichen waren, bis auf einmal alle von einer unerklärlichen Angst erfüllt gewesen waren. Wie Rimma neben ihr gestürzt war. Wie sie sie aufgehoben hatte und mit ihr weitergerannt war.

Die Hausdame wartete noch eine ganze Weile, nachdem Mei-neke geendet hatte. Eigentlich hatten sie keine Zeit, um hier zu sitzen und zu plaudern. Die ältere Frau hatte jedoch etwas in der neuen Aushilfe entdeckt, dass nicht zu ihrer vorgeblich bescheidenen und tumben Art passte, die sie bisher zur Schau gestellt hatte. Hatte sie sich bisher nur ein wenig zu Aufrecht für eine Magd gehalten, zeigte ihre Kenntnis der Wundbehandlung und der Ton, in dem sie von ihrer Vorgesetzte Nadel und Faden gefordert hatte, dass mehr hinter der grauen Fassade steckte. Dass sie nicht aus dieser Gegend stammte, zeigte schon ihr Dialekt, obwohl die Hausdame nicht hätte sagen können, wo man so sprach wie Mei-neke. Ihre Kinder besaßen einige ihrer Redewendungen, ihr Dialekt war jedoch ein anderer. Was sie in ihrer Heimat jedoch gelernt haben mochte, konnte sie nicht erahnen. Sehr wahrscheinlich hatte sie einmal eine Position inne gehabt, in der sie anderen Befehle erteilen musste.

„Wer bist du wirklich Mei-neke?“

Die Frau sah sie mit von Tränen geschwollenen Augen an. Vorsichtig, aber nicht feindlich.

„Du bist keine Magd.“

„Ich bin es jetzt.“ Selbst diese Worte klangen Stolz.

„Ich bin nicht sicher, ob ich es gegen den Herrschaften verantworten kann, dich im Haus zu haben.“ Der Stolz verflog und machte der Furcht Platz.

„Bitte. Ich bin keine Diebin. Ich werde niemandem etwas tun. Das schwöre ich beim Blut meiner Ahnen.“

„Dann sag mir, wer du warst.“

„Nur eine einsame Mutter. Mein Mann ist nicht mehr, mein Haus ist niedergebrannt. Aber ich bin eine ehrliche Frau. Alle meine Kinder sind im Ehestand gezeugt. Alles, was ich besitze, habe ich ehrlich erworben.“ Mei-neke achtete sehr genau auf ihre Worte. Enk hatte ihr immer wieder eingeschärft, so wenig wie möglich zu lügen.

„Das hast du mir alles schon erzählt. Aber warum weißt du, wie man Wunden behandelt? Warum hast du den Brandwein verwendet? Was hast du früher getan?“

„Ich bin an einem Ort aufgewachsen, wo die Frauen daran gewöhnt sind, dass die Männer immer wieder in den Kampf ziehen und verwundet heimkehren. Mein Mann hat mir viel über die Heilkunst beigebracht. Er hat mir gezeigt, dass die gegorenen Getränke dabei helfen, die Wunden zu säubern und giftige Dämpfe und Ungeziefer vertreiben. Mein Mann war sehr klug und er hat mir viel beigebracht. Aber ich war nur eine Bäuerin.“

„Mhm, da fehlt immer noch etwas, aber ich werde dich noch hier behalten. Gib dir Mühe, Mei-neke.“ Sie stand auf und deutete der Magd, es ihr gleichzutun.

„Was ist mit Rimma?“

„Was?“

„Jemand muss sich um sie kümmern.“

„Du hast andere Aufgaben.“

„Ich meine auch nicht mich. Aber meine Jungs können bei ihr bleiben.“

Die Hausdame lächelte und Mei-neke wusste, dass sie ihr, nach allem, was sie gesagt hatte, trotzdem wohlgesonnen war. „Sie sollen aber leise sein.“



Ein Freier Tag für die Feldstraßler

Mittwoch, 1. Oktober 2014, 10:08
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Die Feldstraßler wissen nicht genau, was sie eigentlich tun sollen: Kapitel 99