Feen 2: alle (bis auf Ohnfeder) nähern sich einem Ort

Montag, 15. September 2014, 13:35
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Seine Unterkunft war weniger gemütlich als beim letzten Mal. Nachdem er sich unerwartet schnell aus dem Haus Upajano hatte verabschieden müssen, konnte er dort schlecht nach zwei Wochen plötzlich wieder auftauchen, zwei Wochen, in denen er tot in irgendeinen Bordstein hätte liegen können. Und wenn es nach der Dame des Hauses ging, wäre es vermutlich das, was sie sich für ihn wünschte. Die wenigsten Frauen konnten gut damit umgehen, mit einem Mann das Bett zu teilen, der sich anschließend heimlich davon stahl.

Deswegen hatte Enk sein Lager jetzt in dem Keller einer anderen Villa aufgeschlagen. Den Weg dorthin hatte er früh auf einem seiner ersten Aufträge in Imanahm gefunden. Er selbst war zu einem guten Teil dafür verantwortlich, dass das Haus über diesem Keller in einem so schlechten Zustand war. Vermutlich, wenn der Hausherr und seine Geliebte nicht einem überraschenden gemeinsamen Selbstmord zum Opfer gefallen wären. Der einzige Sohn lebte noch in den kalten Räumen über der Erde, ein alter Diener hielt, wenigstens in seinen eigenen Augen, den Schein aufrecht, dass es noch ein anständiges Haus war.

Die großen Vorteile dieses Verstecks waren, dass nicht nur der Eingang gut verborgen in einem Hinterhof lag, sondern die Hausbewohner ungewöhnlich abergläubisch waren. Jedes Geräusch, das er machen würde, würden sie den Hausgeistern zuschreiben.

Allerdings hielt er sich kaum in dem Keller auf, denn die Suche nach Estron nahm all die Zeit in Anspruch, die er nicht damit verbrachte, seine Bestände wieder aufzufüllen. Er hatte in letzter Zeit seine Truhe zu oft geplündert, ohne sie nachfüllen zu können. Und ohne die Verkleidungen, die er regelmäßig aus ihr hervorzog, war es denkbar schwer, unerkannt zu bleiben. Nicht, dass ihm gegenüber Estron eine Verkleidung helfen würde. Der Keinhäuser hatte ihn erkannt, Enk war sich ganz sicher. Es war nur ein kleines Aufflackern gewesen, dass er in den Augen des anderen hatte sehen können, als sich ihre Blicke für den Bruchteil eines Herzschlags trafen. Dann hatte Estron wieder auf die Straße geachtet und ihm, in seiner Bauernverkleidung keine weitere Beachtung geschenkt. Aber Enk wusste es. Und es bestand kein Zweifel, dass Estron auch wusste, dass Enk es wusste. Estron war schon immer unangenehm aufmerksam gewesen.

Er würde ihn also aus der Entfernung beobachten. Dazu musste er ihn allerdings erst einmal finden. Und das stellte sich als das erste Problem heraus: Enk konnte sich nicht einmal ganz sicher sein, dass sich der Gesuchte überhaupt noch in der Stadt befand. Vielleicht war er einfach nur hindurch gereist oder hatte die Stadt gleich links liegen lassen. Deswegen hatte er sich bereits einen der anderen Karawanenreisenden auserkoren, den er zum Reden bringen würde.

So begann sein Tag in der einfachsten Verkleidung, die er hatte finden können und endete mit drei Perücken, fünf Jacken, mehreren Paar Schuhen, verschiedenen anderen Utensilien und dem Wissen, dass Estron zumindest die Stadt betreten hatte. Fast alles hatte er gestohlen, manches von Marktständen, einiges direkt aus Häusern, ein paar Sachen aus den Taschen von Menschen, an denen er vorbeigekommen war. Es war riskant so viel an einem Tag zu stehlen, er hatte jedoch keine andere Wahl, wenn er die Spur nicht verlieren wollte. Und nach der Information hatte er nur zu fragen brauchen. Kleine, unauffällige Fragen, eine nach der anderen und zwei Ohren, die zwischen den Worten hörten. Ein paar klingende Münzen, investiert in etwas Essen und etwas mehr zu trinken, halfen natürlich dabei, die Zunge zu lockern.

Estron war in die Stadt gekommen und er war nicht allein. Nach allem, was Enk erfahren hatte, hatte er inzwischen Schüler, was zu dem passte, wie er sich Estrons weiteres Leben vorgestellt hatte. Ein Weiser Lehrer, eine Rolle, die ihm stand. Ein Chuor und ein weiterer Mensch vervollständigten anscheinend seine kleine Gruppe. Wer konnte ahnen, wo er die beiden aufgelesen hatte.

Enk hoffte, dass er in keinen Konflikt mit Estrons Gefolge geraten würde. Vor allem der Chuor konnte ihm Schwierigkeiten bereiten. Sie waren schnell und stark und ihre Nasen waren so gut, dass es schwer werden würde, sich ihnen unbemerkt zu nähern. Er hatte großen Respekt vor den Chuor. So kraftvoll und ausdauernd sie allerdings auch kämpfen mochten, im Prinzip stellte ihre primitive Art der Waffenführung und ihre oft allzu kraftvolle Kampfweise kein Problem für ihn dar. Er hatte schon mehrere von ihnen, einzeln oder auch in Gruppen, getötet, denn sie wurden gerne in den südlichen Städten als Wachen eingesetzt. Einige hatte er vergiftet oder aus dem Hinterhalt ermordet. Mit anderen hatte er sich im Kampf messen müssen. Es waren ungleiche Kämpfe gewesen. Nach den ersten Hieben waren sie ihm mehr oder weniger ins Schwert gelaufen. Nicht, dass er sich über leichte Siege beschweren wollte, dennoch empfand er es als Verschwendung, wenn er mutige und treue Wachen umbringen musste, aus keinem anderen Grund, um näher an sein Ziel zu kommen. Bei diesem Gedanken stutzte er. Er hatte gewiss doppelt so viele menschliche wie Chuor-Wachen getötet und empfand nur für die Wolfsmenschen dieses Bedauern.

Er atmete tief durch.

Einen der Schüler hatte er vermutlich mit Estron gesehen und er war wenig beeindruckt von ihm gewesen. Man sollte natürlich niemanden unterschätzen, sein Gefühl sagte ihm jedoch, dass sie kein Problem darstellen würden.

Blieb noch der andere Mensch, der mit Estron reiste. Er war ein Rätsel. Gegenüber den anderen Reisenden hatte er seinen Namen nicht genannt, dennoch war er sehr beliebt gewesen. Er hatte alle mit seinen phantastischen Geschichten unterhalten. Unmögliche Geschichten, die aber mit so viel Ernsthaftigkeit vorgetragen wurden, dass man sich von ihnen gefangen nehmen ließ, bevor er sie mit einem Scherz beendete oder ihren Sinn verkehrte. Er hatte die Reise für alle angenehmer gemacht.

Aber nicht nur durch seine Geschichten und seine Fröhlichkeit war er nahezu allen aufgefallen. Irgendetwas hatte er an sich gehabt, dass ihn immer anders erscheinen ließ. ‚Anders‘, so hatte sich der Mann ausgedrückt, hatte Enk aber nicht erklären können, was er damit meinte.

Enk lebte noch, weil er aufmerksam beobachtete und mit klaren Gedanken seinem Weg folgte. Dennoch war er nur in Imanahm, weil er einer Intuition gefolgt war. Er war Gerüchten über Estron gefolgt, obwohl er den Feen Shaljel suchte, weil er gespürt hatte, dass Estron mit ihm in Verbindung stand. Jetzt spürte er etwas ähnliches, was den fremden Mann anging. Seine klaren Gedanken warnten ihn jedoch davor, sich zu sehr auf sine Intuition zu verlassen, auch wenn er ihr soweit folgen wollte, dass er den Mann mit Vorsicht behandelte.

 

Der nächste Tag sah ihn auf einem Dach oberhalb des Marktplatzes liegen. Er hatte sich mehrere Decken mit heraufgenommen. Es war nicht seine Gewohnheit, sich mit solchen Dingen zu belasten, aber die Kälte wurde langsam unangenehm und ohne die Decken hätte er es vermutlich keinen Gongschlag durchgehalten. Der große Marktplatz war das Zentrum Imanahms und er ging davon aus, dass früher oder später jeder ihn aufsuchen würde. Estron kannte er, von dessen Freunden hatte er Beschreibungen, auch wenn sie recht vage waren. Aber die Tätowierungen seiner Schüler sollten auffällig genug sein. Diesen Tag würde er warten und beobachten. Wenn sich nichts ergab würde er morgen weitere Erkundigungen einholen. Vielleicht verlor er auf diese Weise die Spur, vielleicht entkam ihm Estron auf auch, weil Enk es einen Tag ruhig angehen ließ, vielleicht war es nicht klug, so vorzugehen. Aber heute würde er beobachten und sehen, wer sich sonst noch in der Stadt aufhielt.



Feen 2: Shaljel kommt zurück

Samstag, 13. September 2014, 22:16
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Shaljel brauchte nur an die Tür zu klopfen und schon wurde sie ihm von einem der Hausdiener geöffnet. Er war es gewöhnt, für sich selbst zu sorgen, aber anders als Estron hatte er kein Problem damit, wenn ihm jemand das Leben angenehmer machte. So war es nicht immer gewesen, aber er lebte jetzt lange genug, um verstanden zu haben, dass man auch die angenehmen Dinge annehmen können musste. Und vor allem war er, gemessen an anderen Feen, verrückt genug, dass er diese Lektion auch nicht vergaß.

„Hast du ihn getroffen?“ Estron erschien im Türrahmen des Raums, der derzeit als Speisesaal diente, wohl aber auch für Empfänge und andere Feste verwendet wurde.

Shaljel ging auf ihn zu: „Ja. Ist ein misstrauischer Bursche. Aber wer kann es ihm verdenken.“

„Können sie für uns gefährlich werden?“

„Estron! Ich finde, du könntest ein wenig mehr Mitgefühl haben. Er hat Angst. Ich bin nicht sicher, was er durchgemacht hat, aber er hat noch einen Faden zu einem anderen Magier.“

„Du hast den Faden letztes Mal schon erwähnt, aber was hat es damit auf sich? Wenn ich es richtig verstanden habe, hinterlässt er eine Spur, der andere Magier folgen könnten, aber das tun wir doch alle.“

„Nicht solche. Und ich würde behaupten, dass nur du und ich die meisten anderen verfolgen können.“

„Und was ist an seiner Spur besonderes?“

„Es hängt auch am anderen Ende jemand dran.“

„Weist du wer?“

„Nun, es ist kein Verwandter.“

„Kann jeder mit sowas verbunden sein?“

„Nein, nur zwei Magier seiner Art. Du weißt, die anderen Magier. Die, die die Magie aus sich selbst holen.“

„Diejenigen, die man so selten findet? Ich glaube, dass ich niemals einem begegnet bin.“

„Die Drachen haben alles getan, um sie zu vernichten.“ Shaljel wurde ungewohnt grimmig. „Ich habe versucht, so viele zu retten, wie ich konnte, aber, naja, ich bin alleine und sie sind ziemlich viele.“

„Du bist nicht mehr alleine. Ich glaube, du warst es nie. Aber darum machen wir diese Sache hier ja überhaupt.“ Shaljel nickte und seine Stimmung hellte sich wieder auf, um bei der nächsten Frage gleich wieder finsterer zu werden. „Es gibt also noch einen zweiten dieser Magier? Und sie sind verbunden? Ich frage also noch Mal, auch wenn es herzlos ist: Können sie uns gefährlich werden? Und du weißt, was ich meine.“

„Es sieht so aus, als wenn wir damit rechnen müssen … ich meine, es sieht so aus, als wenn es sein könnte, dass er von einem Magier verfolgt wird.“

Estron nickte stumm.

„Ich habe ihm empfohlen, dass er die Stadt verlassen soll. Und das meine ich ehrlich. Der Verfolger kommt mit jedem Tag näher und wenn sie den Faden nicht durchschneiden, dann kann er gar nicht anders, als sie zu finden.“

„Gut, dass wir jetzt wenigstens vorgewarnt sind. Wir sollten uns wohl von ihm fernhalten.“

„Ja, das wäre vermutlich besser.“ Shaljel bemerkte, dass Estron den unsicheren Ton in seiner Stimme gehört hatte und fügte schnell hinzu: „Außerdem ist er nicht allein.“

„Noch ein Magier?“

„Ja, beziehungsweise eine Magierin. Und außerdem ein Feenling.“

„Ein Feenling? Wirklich? Hier? Und das ist niemandem bisher aufgefallen?“

„Wie es aussieht, nicht. Ich weiß aber nicht, wie sie das angestellt haben. Ich konnte sie nicht sehen. Nur ihre Spur. Weil ich ja sowieso gerade nach seiner geguckt habe. Und dann konnte ich sie auch riechen. Ich weiß nicht, was sie vorhatten, sie hat sich aber irgendwo versteckt.“

„Ich kann mir kaum zwei Dinge vorstellen, die sie vorgehabt haben könnten.“

Shaljel sah Estron mit einem fragenden Blick an.

„Ist es nicht offensichtlich? Du hast den Jungen als das erkannt, was er war. Sie sind auf der Flucht. Sie haben Angst, dass du sie verraten könntest. Sie wollten dich vermutlich töten.“

Der Feen in Menschengestalt sah seinen Freund kritisch an. Er hätte es gerne abgestritten, von der guten Natur, die den Menschen inne wohnte, gesprochen. Aber leider kannte er die Menschen so lange, wie es sie gab, und wenn sie Angst hatten, verhielten sie sich immer noch genauso, wie am ersten Tag: dumm und unvernünftig.



Feen 2: Pethen und Hylei bekommen besuch.

Donnerstag, 11. September 2014, 18:39
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Der Abend war gekommen und mit ihm der seltsame Mann, der diesmal offen die Gasse heruntergeschlendert kam. Er schien sehr vergnügt zu sein und machte ab und zu einige hüpfende Schritte. Er schien sich keine Gedanken darüber zu machen, ob ihn jemand beobachtete. Pethen, der seine Sicht bis aufs äußerste in die Weite geschickt hatte, konnte allerdings niemanden entdecken, der um diese Zeit hier herumschlich, wenn er von dem Fremden sich selbst und Hylei absah. Der Feenling lag hinter einem Schornstein auf dem Dach einer Werkstatt. Der junge Mann wunderte sich, ob der Fremde tatsächlich sorglos war, oder genau wie er selbst wusste, dass niemand in der Nähe war. Warum auch nicht? Wenn er über so viel Macht verfügte wie Pethen glaubte, dann war eine Sicht wie die seine kaum außerhalb des Möglichen.

„Du hast noch nicht zu lange gewartet, oder?“

„Wer seid ihr?“

„Ah, ich sehe. Mein Freund hat mich gewarnt, dass ich mich nicht beliebt machen würde bei dir. Allerdings fürchte ich, wir sollten keine Namen austauschen. Sicherer, verstehst du?“

„Wie ihr wollt.“

„Und hör mit dem ‚Ihr‘ auf. Wir haben etwas gemeinsam. Mehr oder weniger. Tut mir leid, dass ich dich vorhin so lange beobachtet habe. Ich wollte einfach sehen, ob du mit deinem Drirelgli umgehen kannst oder nicht. Und ich bin froh, dass du keine Gefahr für die anderen darstellst.“ Der fremde sprach sehr schnell, als würde er über Belanglosigkeiten plaudern. Pethen musste sehr aufpassen, um in dem Wortschwall nicht verloren zu gehen.

„Ihr seid ein Magier, so viel sehe ich. Aber was wollt ihr von mir.“

Der Mann schüttelte den Kopf.

„Ich meinte das ernst mit dem ‚Ihr‘, aber wenn du es so willst. Nun gut. Allerdings dachte ich, ich hätte mich vorhin deutlich erklärt: Ich will euch helfen. Ihr seid so auffällig wie ein Bataga im Onrenstall, zumindest für mich und ihr habt einen Faden, der euch mit jemandem verbindet. Das kann jeder sehen, der darauf achtet. Selbst mein Freund hat es gesehen. Gut, das ist jetzt vielleicht kein Zeichen dafür, wie offensichtlich es ist, denn er scheint auf alles zu achten. Außerdem ist er etwas besonderes. Aber das seid ihr auch und ich bin der Meinung, man sollte sowas fördern. Es gibt nicht so viele wie euch und die Priester machen keinen Unterschied, ob ihr nun die eine oder die andere Form der Magie verwendet. Und ich kann euch versichern, dass ich schon lange ein großer Unterstützer aller Magier bin, auch wenn einige, schlichtgesagt – und entschuldigt meine Sprache – größenwahnsinnige Arschlöcher werden. Es wäre so viel einfacher, wenn nicht immer wieder solche Gewalttäter unter euch wären. Ich verstehe auch nicht, warum alle immer so gerne Sachen in Brand stecken, zersprengen, wegschwemmen, zerbrechen, verbiegen, wegwehen oder in der Erde versinken lassen. Es gibt so viel bessere Verwendungen für Magie. Ich meine, hat in den letzten Jahrhunderten irgendein Magier ein Feld erblühen lassen? Oder einen Kranken geheilt? Oder hat jemandem bei der Arbeit geholfen? Gut, sowas wie Fliegen halte ich persönlich für überbewertet, aber was ich meine ist, es wäre mal was anderes. Magie kann so viel Spaß machen, versteht ihr? Und sie kann so nützlich sein. Man muss sie nicht immer nur dazu verwenden, sich selbst zu schützen oder jemandem wehzutun. Ich gebe ja zu, dass es schon gut ist, wenn man sich selbst schützt, vor allem wenn man es mit den Priestern zu tun bekommt. Und hierbei meine ich vor allem die Priester der Menschen. Die meisten anderen sind eigentlich ganz in Ordnung. Aber versteht ihr, was ich meine?“

Der Fremde schien nicht das Bedürfnis zu verspüren, Luft zu holen. Der Wortschwall ließ Pethen entgeistert zurück und er reagierte zuerst gar nicht auf die Frage, bis sein Verstand die Worte eingeholt hatte und er letztendlich doch den Kopf schüttelte.

„Ich meine, wir müssen uns alle helfen. Und ich bin in der glücklichen Lage euch helfen zu können. Ihr seid zwar ein Vindrir, ein Geistmagier, wie es die Ra-ula nannten, aber ein paar Tipps kann ich euch schon geben. Sagt, was habt ihr denn bisher schon alles selbst gelernt? Ich meine, ihr scheint euch ganz gut unter Kontrolle zu haben, und das ist eine Erleichterung, denn ich habe schon andere Vindrir gesehen, die sich selbst den Kopf weggebrannt haben. Kein schöner Anblick. Gerade leuchten die Augen noch blau und plötzlich beginnt Rauch aus Mund und Ohren zu steigen. Und dann, puff, platzen die Augen auf und man ist voller Blut, wenn man nicht schnell genug ausweichen konnte. Habt ihr manchmal Kopfschmerzen?“

Pethen hatte das Gefühl, dass ihn der Mann einfach überrollte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als ihm zu antworten: „Seit ein paar Monden nicht mehr.“

„Regelmäßiger deine Magie verwendet? Das ist gut. Und die Sicht verwendest du mit großer Leichtigkeit, wie ich schon festgestellt habe. Wie weit kannst du sehen?“

Die Frage kam unerwartet, vor allem, weil sich Pethen nie darüber Gedanken gemacht hat.

„Vielleicht hundert, zweihundert Schritte?“

„So leicht, wie du damit umgehst, solltest du problemlos aus die Stadt rausblicken können. Würde ich aber nicht empfehlen. Das kann ziemlich verwirrend werden, vor allem, wenn man nicht nur nach vorne kuckt. Das ist eins der Probleme bei euch Vindrir. Ihr seht überallhin. Eben nicht mit den Augen.“

„Das klappt sowieso nicht. Da sind zu viele Häuser im Weg. Bevor ich mich mit der Sicht durch alle Straßen geschlängelt habe, bin ich vor Erschöpfung umgefallen.“

Der Fremde sah ihn erstaunt mit großen Augen an und begann dann schallend zu lachen.

„Das ist gut.“ Schnell beruhigte er sich wieder. „Naja, eigentlich ist es eher traurig. Hör mal.“ Er trat näher an Pethen heran und deutete mit einem Zeigefinger auf dessen Kopf. „Die Häuser sind kein Hindernis für deine Sicht. Das ist nur in deinem Kopf. Auch die Entfernung stellt kein Problem dar, nur all die Dinge, die du siehst. Deswegen sieh nicht zu weit.“ Der Mann zögerte kurz, dann machte er ein bestürztes Gesicht. „Oh, entschuldigt. Ihr besteht ja auf dem ‚Ihr‘.“

Pethen fühlte sich wie bei einem der Übungskämpfe mit Hylei: Sie brachte ihn oft ganz einfach aus dem Gleichgewicht und sorgte mit jedem weiteren Angriff dafür, dass er es auch nicht wiederfand. Der Wortschwall des Fremden hatte die gleiche Wirkung auf seine Gedankengänge.

„Nichtsdestotrotz würde mich interessieren: mit wem seid ihr verbunden? Ich meine, der Faden, der euch folgt. Am anderen Ende muss jemand hängen, der euch nahe steht. Euer Meister?“ Der Mann blickte Pethen neugierig an. Als er jedoch keine Bestätigung erkennen konnte, fragte er weiter: „Ein Bruder? Vater? Mutter? Irgendwer anderes aus der Familie? Ein Feind?“ Er senkte den Kopf. „Ihr solltet wirklich dringend die Verbindung kappen. So kann er euch immer wieder finden.“

„Warum fragt ihr nach der Familie?“

„Warum nicht. Menschen haben immer eine Verbindung zu der Familie. Wichtiger jedoch noch ist, dass Magie immer wieder in den gleichen Familien auftaucht. Aber wen habt ihr euch zum Feind gemacht, der über das gleiche Talent wie ihr verfügt.“

„Davon weiß ich nichts“, log Pethen, obwohl er sich augenblicklich fragte, was mit diesem Priester sein mochte, dass er das gleiche Talent teilen sollte, wie ein Magier. Als er später an den kurzen Kampf zurückdachte, fiel ihm auch zum ersten Mal auf, wie ähnlich der Angriff des Priesters seiner eigenen Verteidigung gewesen war, der Kampf einer Energiewand gegen die andere. Das mochte nichts bedeuten, es gab dem jungen Magier jedoch Stoff zum Grübeln.

„Na gut. Ich sehe, dass ihr mir nicht traut. Wenn mir jemand folgt, bin ich auch immer besonders misstrauisch, nicht, dass das in letzter Zeit geschehen wäre.“ Der Fremde lächelte, wobei seine Augen fast traurig wirkten. „An eurer Stelle würde ich vermutlich die Stadt verlassen, sonst findet euch euer Feind. Aber so lange ihr hier seid, könnt ihr hier“, er deutete auf einen Balken an dem Schuppen, neben dem sie standen, „drei Striche in den Balken ritzen. Dann weiß ich, dass ihr mit mir sprechen wollt. Vielleicht nehmt ihr meine Hilfe ja doch noch an.“ Er ging an Pethen vorbei und nickte ihm dabei zu. „Seid vorsichtig.“ Damit ging er schnellen Schrittes auf die nächste Häuserecke zu und verschwand aus Pethens Sichtbereich.

 

Hylei lehnte sich neben ihn an die Schuppenwand.

„Was ist da gerade passiert?“ Der Feenling schüttelte nur den Kopf.

„Wer ist das? Hast du ihn noch verfolgen können?“

„Wäre sinnlos gewesen.“

„Warum?“

„Er ist zu schnell. Seine Beine. Er federte beim Gehen, als könnte er auf ein Dach springen.“

„Habe ich nicht drauf geachtet.“

„Ich weiß.“

„Können wir ihm trauen? Er scheint mit helfen zu wollen, aber woher weiß ich, dass er mich nicht trotzdem ausliefert?“ Hylei zog leicht die Schultern hoch, gerade so viel, dass Pethen es mit seiner magischen Sicht erkennen konnte. Sie wusste, dass er nicht mehr benötigte.

„Er hat mich gefunden. Er wusste, dass wir, ich meine ich, auf der Flucht bin. Und das mit dem ‚Faden‘, wie er das nennt, das ist unheimlich. Ich habe während des Tages versucht darauf zu achten und ich scheine wirklich eine Spur hinter mir herzuziehen. Überall wo ich langgehe. Ich kann es mir kaum länger ansehen als ein paar Herzschläge. Macht einen wirklich verrückt. Ist mir aber vorher nie aufgefallen. Kannst du es sehen?“ Sie schüttelte den Kopf, blickte ihn aber nicht an. „Wolltest du ihn nicht töten? Er stand die ganze Zeit da.“

Diesmal bewegte sich Hylei nicht. Sie hatte in ihrem Versteck gelegen und den Fremden beobachtet. Sie hatte sehr gute Ohren, weswegen sie das meiste verstanden hatte, sie hatte jedoch weniger auf die Worte als auf die Person selbst geachtet. Sie kannte Menschen und Feenlinge und wie sie sich bewegten. Feenlinge setzten ihre Schritte geschmeidiger, wedelten weniger mit den Armen und hielten sie grader. Sie waren in jeder Beziehung anmutiger. Aber dieser Mensch, der ihren Gefährten mit einer Wolke aus Worten eingenebelt hatte, versuchte sich wie ein Mensch zu bewegen, ließ aber immer wieder erkennen, dass sein Körper schneller war, kräftiger, gewandter. Es waren nur einzelne Gesten, oder wie er auf Pethens Agieren reagierte. Sie hatte noch nie jemanden gesehen, der so offensichtlich daran gewöhnt war, Kämpfe zu bestehen, ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen. Nur für einen Moment hatte sie mit dem Gedanken gespielt, eines ihrer Wurfhölzer zu ziehen. Aus irgendeinem Grund war sie sich jedoch sicher gewesen, dass sie ihn verfehlt hätte. Und genauso sicher war sie sich, dass die beiden zusammen gegen ihn weder körperlich noch mit ihrer Magie in einem Kampf hätten bestehen können, auch wenn sie für seine magischen Fähigkeiten nur Pethens Wort hatte.

Ihr Gefährte schien sie zu beobachten, während sie ihren Gedanken nachhing.

„Ich glaube, es war gut, dass du es nicht versucht hast. Aber was machen wir jetzt?“

Hylei zeigte nach Osten und Pethen musste nicht darüber nachdenken, was sie damit meinen konnte. Er stieß sich von der Wand ab.

„Morgen?“

Hylei nickte: „Am Osttor.“

„In der Früh?“

Hylei dachte nach.

„Lass uns auf dem Markt treffen. Nach der Arbeit.“

„Dann gehen wir mit den Bauern aus der Stadt. Und können noch etwas besorgen. Ja, besser.“

Sie sahen sich in die Augen, drehten sich fast gleichzeitig um und gingen in Richtung ihrer Unterkünfte. Erst als sie außer Reichweite des jeweils anderen waren begannen sie sich umzusehen, ob ihnen jemand folgte.



Die Kinder aus der Feldstraße, Teil 94

Mittwoch, 10. September 2014, 00:43
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Eine kleine Unterbrechung im Feen 2-Fluss: Nach dem Spielewochenende geht es jetzt selbstverständlich weiter mit Kapitel 94.



Feen 2: Ein wenig Owithir, ein wenig Reig

Dienstag, 9. September 2014, 00:58
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Sie waren ganz nah. Der leuchtende Pfad, den Owithir vor sich sah, war so deutlich, wie er ihn zuvor noch nie wahrgenommen hatte. Sie hatten sogar eine kleine Pilgergruppe überholt, deren Anführer behauptete, sie gefangengesetzt zu haben, bis sie mit ihren dämonischen Kräften seine Wächter überwältigt hätten und entkommen waren. Owithir zweifelte an dieser Darstellung, nicht weil er glaubte, dass es unmöglich war, die beiden Magier zu überrumpeln, sondern weil er sich sicher war, dass die Flucht zumindest zu schweren Verletzungen oder sogar dem Tod der Wächter geführt hätte, wenn er von dem ausging, was sie hatte tun sehen.

Auch wenn der Bericht jener Pilger fragwürdig war, stand dennoch außer Frage, dass sie den beiden begegnet waren. Owithir hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Gedanken dieser Männer zu lesen. Was hätte er erfahren können, dass ihm bei der Jagd geholfen hätte? Die Scham, die von dem Anführer ausgegangen war, hatte er sich jedoch nicht entziehen können, als sie an der Gruppe vorbeigeritten waren. Er war versucht gewesen, sein Bataga zu zügeln. Reigerins Widerwillen gegenüber diesem Mann war jedoch so stark gewesen, dass er den großen Reitbüffel weitertrotten lassen hatte. Seine eigenen Wächter waren ihm gefolgt und es war ihm nicht entgangen, dass Tafgen einem der angeblich verzauberten Wächter des Pilgers zunickte.

Als sie außerhalb der Hörweite der kleinen Gruppe gewesen waren, hatte Pethen sich an Reig gewandt: „Ich spüre, dass du die Pilger nicht mochtest. Was stört dich an ihnen.“ Reig zögerte. Sie schämte sich, von Owithir nach ihren Gefühlen befragt zu werden. Sie reiste jetzt bereits seit drei Wochen mit einem Priester und fünf Kriegern durch eine Welt, von der sie keine Vorstellung gehabt hatte. Sie hatte die Männer all die täglichen Dinge tun sehen, die auch ihre Eltern und Geschwister getan hatten. Sie hatte sie fluchen gehört und ihnen das Wasser geholt. Sie hatte sogar damit begonnen sie zu bekochen mit dem wenigen, was man in dieser Jahreszeit und auf der Reise kochen konnte. Und vor allem saß sie Tag für Tag hinter Wohlehrwürden, roch ihn, spürte seine Wärme, hörte seine Freundlichkeit. Sie war noch ein junges Mädchen, sie war jedoch auf einem Hof mit Tieren aufgewachsen. Sie kannte die Läufe der Natur und was sie zwischen den Tieren anstellten. Sie war sich sicher, dass sie etwas Ähnliches empfand, auch wenn die Jahreszeit nicht danach war. Und sie wusste, dass es nicht rechtens war, etwas Derartiges gegenüber Wohlerwürden zu empfinden. Sie konnte ihre Gefühle jedoch nicht unterdrücken oder verneinen. Er war so freundlich zu ihr, er sorgte sich um sie. Die Söldner waren ebenfalls nett zu ihr, aber sie spaßten nur mit ihr, lobten oder neckten sie. Owithir, Wohlehrwürden, schien sie jedoch zu verstehen. Auch wenn er streng war, so war er doch gerecht, aufrichtig und auf seine eigene Weise gütig.

„Er war nicht ehrlich.“

„Viele sind nicht ehrlich. Auch meine Wachen lügen, wenn es ihnen nützlich erscheint.“ Kalig, der direkt hinter ihnen ritt, lachte kurz auf. „Sie stören dich nicht.“

Reig hatte einen Augenblick überlegen müssen. „Er ist wie der Händler, der mal auf dem Hof war.“

Owithir hatte die Gefühle in dem Mädchen aufwallen gespürt. Er spürte sie allzu oft und allzu deutlich. Es blieb nicht aus, wenn sie sich an ihm festhielt. Er konnte sich kaum dagegen wehren.

„Der Händler hat euch betrogen?“ Er hatte es als Frage formulierte, obwohl er die Antwort bereits gekannt hatte. Reigerin hatte nur genickt, was er nur an seinem Rücken hatte spüren können, aber nicht sehen.

„Ich weiß was du meinst, Reig. Ich mochte ihn auch nicht.“

 

Seitdem waren sie weitergeritten und den beiden Hexern immer nähergekommen. Owithir wäre gerne noch schneller vorangekommen. Zwar erschöpfte er inzwischen nicht mehr so leicht, trotzdem strengte ihn das Reiten und die göttliche Sicht, mit der er der Spur folgte, immer noch an. Seine Wächter mussten ihn jeden Abend zwingen, die Verfolgung zu unterbrechen, weil sie fürchten mussten, dass er erneut von seinem Bataga herunterfallen würde, wenn er sich überanstrengte.

Da sie jetzt der Straße folgten, kamen sie immer wieder an Gaststätten vorbei. Allerdings musste der Priester das Geld zusammenhalten, denn er bestand darauf, für alles, was sie sich nehmen mussten, auch zu bezahlen. Seine Wächter kannten viele Priester, waren mit vielen gereist. Für sie alle waren die Dinge, die sie sich von ihren Gläubigen nahmen, nur weitere Opfergabe an die Götter, als deren Vertreter sie angesehen wurden. Kein anderer Priester den sie kannten hatte in ihrer Anwesenheit jemals einen Bauern für etwas Geld gegeben. Und dies, so seltsam es auch sein mochte, gefiel den Wächtern, die es ansonsten gewohnt waren, überall gefürchtet zu sein. Es gab ihnen das Gefühl mehr als nur privilegierte Waffenträger zu sein. Mit Owithir waren sie tatsächlich Diener der Götter, etwas Besonderes. Denn natürlich war ihnen das Leiden der Bauern vertraut. Schließlich war keiner von ihnen mit einem goldenen Löffel im Mund auf die Welt gekommen. Nur weil es ihnen im Dienst der Priester besser ging, ignorierten sie das Leid oder freuten sich heimlich, dass es nicht sie selbst traf.

Nur leider bedeutete Owithirs Großmut eben auch, dass sie sich keine Unterkunft leisten konnten. Hinzu kam, dass er sich nur ungerne seine Tagesritte von irgendwelchen Wegmarken wie den Gaststätten bestimmen ließ. So bauten sie nun ein weiteres Mal ihr Lager am Wegesrand auf, in der Kälte, mit einem mageren Feuer, nur mit dem Schutz einiger Blattloser Sträucher und des Batagas sowie der fünf Ges, an die sie sich schmiegten, um von beiden Seiten Wärme zu empfangen. In der Kälte verschwanden die Standesunterschiede und die kleine Gruppe drängte sich dicht zusammen. Owithir hätte gerne auf diesen Kontakt verzichtet, aber selbst wenn seine eigenen Träume mit denen der anderen durchmischt wurden, die Wärme war willkommen.

Owithir und Reig waren von den Wachen ausgenommen. Aber oft genug wachte einer von ihnen auf, wenn beim Wachwechsel ein Rucken durch ihr Lager ging. Manchmal setzte sich Owithir dann zu dem Wachhabenden ans Feuer und leistete ihm Gesellschaft, so wie auch diese Nacht.

Das Feuer war inzwischen nur noch ein Glühen, denn sie hatten nicht viel Holz finden können. Die Bauern der Umgebung, Holzhändler und wohl auch die Reisenden vor ihnen hatten bereits das Meiste Brennmaterial verbraucht oder fortgeschafft. Daher hielt sich Tafgen, die dritte Wache in dieser Nacht, mit den eigenen Armen umschlungen dicht neben der Glut, von der kaum noch etwas zu sehen war. Owithir hatte gehofft, sich ein wenig am Feuer aufwärmen zu können, blieb aber trotz der Kälte einen Moment bei dem Wächter. Die Nacht war finster und nur ab und zu konnte man einen Schimmer des Rings oder den Halben Mond zwischen den Wolken hervorblinzeln sehen. Für den Priester hielt die Dunkelheit jedoch keine Geheimnisse mehr, seitdem er begriffen hatte, dass die besondere Sicht, die er als Gabe von den Göttern erhalten hatte, ihm auch die Nacht erhellte. Die Ironie dabei entging ihm nicht. Er war der einzige in seiner Gruppe, der jetzt noch etwas sehen konnte, aber trotzdem brauchte er keine Wache zu halten.

„Marinam meinte heute, wir müssten morgen Imanahm erreichen. Warst du schon einmal da?“ Es war eine jener belanglosen Fragen, die man stellte, um ein Gespräch zu beginnen, denn Owithir wollte nicht nur still hier hocken und auf die verlöschende Glut starren.

„Bin mal durchgekommen, Wohlehrwürden. Da waren ich, Laftin, Grillem und Sit noch Ehrwürden Ulavderan unterstellt.“

„Ich erinnere mich an Ulavderan. Ich bin ihm ein paar Mal im Tempel begegnet, wenn er uns Häretiker zur Befragung brachte. Er schien mir sehr streng und unnachgiebig zu sein. Wenig freundlich.“ Tafgen nickte. Das kannten sie inzwischen von ihrem Priester: er sprach offen über andere Geistliche. Seine Stimme verriet keinen Ton der Anklage, aber aus den Wörtern konnte man oft schließen, wenn man es denn wollte, dass er nicht immer einverstanden mit seinen Kollegen war. Was daran ungewohnt war, war nicht, dass ein Priester über ein anderen lästerte, sondern dass er sich mühe gab, es nicht zu tun. Der Wächter wusste, dass es solche Priester gab, er hatte jedoch nie mit ihnen zu tun, denn sie saßen in den Bethallen, Schreibstuben und Klausen. Außer mit ihren Gebeten verfolgten sie keine Ketzer. Wohlehrwürden war so sanft wie die betenden Priester, er konnte jedoch ebenso hartnäckig und gnadenlos sein wie die Priester von Sonne und Schwert, mit denen Tafgen und die anderen Wächter für gewöhnlich arbeiteten. Wenn die Geschichten aus den Folterkellern stimmten, dann konnte er sogar noch grausamer sein, wenn die Umstände es verlangten.

„Waren die beiden anderen deine Freunde?“ Tafgen starrte weiter auf die Glut, sein Kopf zuckte jedoch zustimmend. Mehr brauchte Owithir nicht zu wissen. Wenn die vier eine Einheit gewesen waren, dann waren sie zusammen bei dieser Mission marschiert, bis in die Höhle, in der die Magier gehaust hatten und aus der nur ein paar Männer der großen Schar wieder herausgekommen waren.

„Hast du Angst vor dem Tod?“

„Nein, Wohlehrwürden. Wir kämpfen und wir sterben. So ist das.“

„Ja, so ist das wohl.“ Sie schwiegen und froren gemeinsam. Owithir spürte einen seltsamen Trost durch die Nähe seines Wächters. Zu selten fühlte er sich jemandem nahe.

Tafgen schreckte plötzlich hoch. Noch bevor Owithir sich aufrichten konnte, hatte der Wächter seine Armbrust in Anschlag gebracht und späte in die Dunkelheit hinaus. Als Owithir sich neben ihn stellte, nickte Tafgen in Richtung der anderen Wächter. Der Priester bewegte sich so leise er konnte zu den Männern hin, und weckte sie, während er weiter in die Nacht nach dem Geräusch lauschte, dass seinen Wachhabenden aufgeschreckt hatte.

Dann sah er hinter einigen Bäumen kleine Wesen hervortreten. Sie glichen Ratten, die auf zwei Beinen liefen. In ihren kleinen Händen hielten sie Speere und lange Messer. Er hatte solche Wesen noch nie gesehen, kannte jedoch Erzählungen von Rattenmenschen. Händler, die den Osten bereisten, hatten immer wieder von ihnen berichtet, von ihrem Gestank, ihrem Dreck und ihren wimmelnden Städten. Sie waren klein, aber es blieb nicht nur bei dem einen. Immer mehr tauchten in seinem Sichtkreis auf, verließen ihre Verstecke hinter Bäumen und Büschen. Sie gingen forschen Schrittes in Richtung des Lagers, verharrten jedoch, als einer von ihnen ein leises Fiepen von sich gab, dass Owithir überhört hätte, wenn er nicht gewusst hätte, dass dort Ratten standen.

Die kleinen Wesen schnüffelten in die Richtung der Menschen. Mit ein paar weiteren Fiepsern gab der Anführer seinem Trupp ein Zeichen, und die Rattenmenschen wichen zur Seite aus.

Inzwischen waren die Wächter aufgestanden und hatten sich mit ihren Pieken bewaffnet vor Owithir aufgestellt. Auch sie blickten in den finsteren Wald, konnten aber unmöglich die kleinen Gestalten erkennen. Möglich, dass sie Bewegungen wahrnahmen, aber Owithir wusste selbst, dass der Geist den Augen die unheimlichsten Streiche in der Dunkelheit spielte. Er hörte das vibrierende Geräusch der Armbrustsehne, als Tafgen auf etwas schoss, konnte dem Flug des Bolzens jedoch nicht folgen. Die Rattenwesen bemerkten den Schuss nicht einmal und setzten ihren Weg leise und flink fort.

Während noch Tafgen seine Waffe mit Haken und Bügel spannte, beobachte Owithir, wie die Gruppe der Rattenmenschen weiter nördlich von ihnen die Straße überquerte. Sie bewegten sich weiter ganz leise und erst nachdem sie aus seiner Sicht verschwunden waren, fiel ihm auf, dass seine Männer immer noch das Gebiet, aus dem sie zuerst Geräusche gehört hatten, anstarrten.

„Sie sind weg, Tafgen. Marinam, Kalig, legt euch wieder schlafen. Es wird uns nichts geschehen.“

Marinam, der inoffizielle Führer der verbliebenen Wächter, warf Owithir einen fragenden Blick zu, den der Priester, hätten ihn die Götter nicht gesegnet, unmöglich hätte erkennen können.

„Es waren Rattenmenschen und sie sind weitergewandert. Sie haben uns gerochen und wollten uns wohl nicht begegnen.“

Laftin schüttelte den Kopf, als wollte er zum Ausdruck bringen, dass er sich niemals an Owithirs Gabe gewöhnen würde. Trotzdem ging er zusammen mit den anderen Wächtern zurück zum Schlafplatz. Nicht nur er warf dabei dem heruntergebrannten Feuer einen missmutigen Blick zu. Owithir atmete leise erleichtert aus und kümmerte sich um Reigerin, die sich in Ermangelung eines warmen Rückens, an den sie sich hätte kuscheln können, zusammengerollt hatte. Er half Laftin und Kalig, sie ein wenig besser hinzulegen, damit sie sich als Menschliche Wärmekrucken um sie legen konnten.

Er lächelte. Die harten Männer, die den Tod nicht fürchteten, hatten das junge Mädchen anfänglich abgelehnt, hätten sie vielleicht sogar getötet, wenn Owithir sie nicht zuerst gefunden hätte. Inzwischen war sie ihnen jedoch ans Herz gewachsen, wie sie auch ihm ans Herz gewachsen war. So froh er darüber war, dass sie die Milde in den Kriegern geweckt hatte, so sehr wünschte er trotzdem, dass sie ihnen niemals gefolgt wäre, denn er fürchtete, dass die Gefahr, in die sie sie mitnahmen, sie umbringen würde.



Feen 2: Pethen wird entdeckt

Samstag, 6. September 2014, 18:16
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Vier Tage, länger hatte es nicht gedauert. Dabei hatten sie sich so viel Mühe gegeben. Pethen und Hylei hatten sich nur einmal während dieser Zeit gesehen. Sie waren aneinander vorbeigegangen und hatten sich zugenickt, ganz leicht, fast unsichtbar. Sie hatten sich darauf geeinigt, sich alle zwei Tage einmal zu sehen, zwei Monate lang, nur um zu überprüfen, ob sie beide noch in Ordnung waren. Dann wollten sie weitersehen. Aber nach nur drei Tagen hatte man ihn schon entdeckt. Er wusste nicht, wie. Er hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen. Er hatte keine Magie verwendet. Er hatte, soweit er wusste, immer die Augen offen gehabt, wenn er sie offen haben sollte, und geschlossen, wenn er schlief.

Aber vermutlich hatte er nicht einmal gemerkt, dass er einen Fehler begangen hatte. Nur wie hatte ihn der Mann, der ihn bereits den ganzen Morgen beobachtete, entdeckt? Pethen hatte ihn zum ersten Mal gesehen, gleich als er zur Arbeit gekommen war. Da er seine blinde Sicht inzwischen nur noch mit einer Willensanstrengung unterdrücken konnte, sah er immer etwas mehr als andere Menschen. Nur auf diese Weise war er ihm aufgefallen. Trotzdem hatte er sich anfänglich nichts weiter dabei gedacht, auch wenn er Nichts dergleichen jemals zuvor gesehen hatte. Er wusste, dass er bisher kaum unterschiedliche Wesen mit dieser speziellen Sicht gesehen hatte, nur Menschen, eine Feenlingin und die paar Jaltus, wenn man von den Tieren und Pflanzen absah. Aber sie alle hatten auf irgendeine Weise geleuchtet, bei Manchen nur der Körper, bei anderen, wie Hylei, auch die Luft um den Körper herum, besonders, wenn sie die Magie an sich zog. Unabhängig davon, hatte dieses Leuchten immer annähernd die Form der Person selbst beibehalten.

Bei jenem Mann jedoch war alles verkehrt. Im ersten Moment schien er gar nicht zu leuchten. Dann wieder gingen einzelne leuchtende Strahlen von ihm aus. Er schien zu flackern wie eine Kerze, dann wieder musste Pethen sich abwenden, weil er Angst hatte, geblendet zu werden, was einerseits sehr schwer war, wenn man das Licht selbst mit geschlossenen Augen sehen konnte und andererseits vollkommen unnötig, denn nichts an seinem Körper hätte von diesem Licht, das die Augen nicht sahen, geblendet werden können.

Beim ersten Mal war es ihm nicht aufgefallen, denn der Mann war nur kurz in seinem Sichtfeld erschienen. Dann war er wieder verschwunden und Pethen hatte nicht mehr an ihn gedacht, weil die Arbeit ihn in Anspruch genommen hatte. Doch wenig später hatte er ihn bei einer Hausecke gesehen, von wo aus er ihm direkt in die Augen zu blicken schien. Es war erst das zweite Mal, dass er ihn sah, aber die Intensität dieses Blicks beunruhigte den jungen Mann.

Von da an tauchte der Fremden immer wieder auf, immer an einer anderen Stelle, immer nur für ein paar Augenblicke. Und jedes Mal hatte Pethen ihn ein wenig besser gesehen und es hatte ihn mehr und mehr beunruhigt. Der „Mann“, oder was auch immer der Beobachter sein mochte, musste über irgendeine Art der Magie verfügen. Pethen hatte nur Hylei als Maßstab, da sich seine Sicht zu sehr in den letzten Wochen gewandelt hatte. Er wusste nicht, wie stark Hyleis Magie tatsächlich war. Aber im Verhältnis zu dem Feuer, das den Fremden umgab, war Hylei nur ein Stück Kohle, aus dem ein paar kleine Flämmchen hervorflackerten.

Inzwischen hatte ihn der Vorarbeiter zweimal angeschrien, weil er immer wieder aufblickte und dadurch seine Arbeit vernachlässigte. Auch seine Kollegen warfen ihm böse Blicke zu.

Er brauchte diese Arbeit. Er brauchte das Geld. Er konnte sich keine Fehler erlauben. Deswegen versuchte er den fremden Magier zu ignorieren. Ihm wurde jedoch langsam bewusst, dass seine Sicht, die ihm nachts im Wald so gute Dienste geleistet hatte, auch ein Fluch sein konnte. Er machte seine Arbeit, strengte sich an, konzentrierte sich, schwitzte vom Schleppen und der Willensanstrengung. Trotzdem sah er ihn immer wieder. Die Häufigkeit nahm sogar zu und die Orte an denen er auftauchte wurden immer irritierender. Warum kletterte er auf Dächer, versteckte sich hinter Schuppen oder unterhalb eines Stegs? Entweder er wusste, dass Pethen ein Magier war, der ihn mit seinen besonderen Kräften sehen konnte, dann brauchte er sich nicht verstecken. Oder er wollte ihn beobachten, weil er sich nicht sicher war, dann hätte er sich bessere Orte aussuchen müssen.

Pethen konnte es nur mühsam bis zur Pause aushalten. Sobald der Schiffbaumeister das Signal gab, legte er das Holzstück ab, dass er gerade herbeigetragen hatte, und rannte geradewegs auf den Mann zu, der sich derzeit hinter einen Schiffsrumpf versteckte. Die anderen Arbeiter blickten ihm nach, sagten jedoch kein Wort. Sie wunderten sich nur über den schmächtigen Jungen, der sich alle Mühe gab, heute aber ein wenig abgelenkt zu sein schien.

Schon bevor Pethen den Rumpf erreicht hatte, war sein Ziel bereits wieder verschwunden. Er drehte sich im Kreis, um seine Umgebung abzusuchen. Zumindest tat er so, als wenn er seinen Blick über die Umgebung schweifen lassen würde, denn er wusste bereits, wo der Mann diesmal aufgetaucht war. Inzwischen wunderte er sich nicht mehr darüber, dass der Fremde von einem Ort verschwand und an einem auftauchte, ohne sich dorthin bewegt zu haben. In der Magierzuflucht hatte er nichts von einem solchen Zauber gehört, der es jemandem erlaubte, so schnell zu laufen, dass man ihn nicht mehr sah. Aber nach allem, was er gesehen hatte, musste der Magier mächtiger sein, als jeder andere, dem er bisher begegnet war. Er konnte sich nicht einmal vorstellen, wozu Hylei fähig wäre, wenn sie eine richtige Ausbildung erhalten würde, nach allem, was Pethen wusste, konnte der Fremde Berge versetzen.

Er machte sich wieder auf den Weg, diesmal rannte er jedoch nicht. Diesmal ging er langsam, auch wenn dies bedeutete, dass ihm kaum genügend Zeit bleiben würde, um am Ende seiner Pause wieder rechtzeitig an seinem Arbeitsplatz zu sein.

Schließlich traf er den Mann am Eingang einer Gasse, wo er auf Pethen zu warten schien.

„Schön, dass du gekommen bist. Was hat dich aufgehalten?“

„Wer seid ihr?“

„Oh, gleich eine Fragen. Meinst du, dass wir uns schon gut genug kennen?“

„Ich euch nicht, aber ihr beobachtet mich seit Sonnenaufgang.“

„Du hast mich gleich gesehen, oder?“ Pethen reagierte nicht, was den Fremden jedoch nicht zu stören schien. Er sprach einfach weiter. „Gestern hast du mich jedoch nicht gesehen, stimmt‘s? Da habe ich dich nämlich entdeckt. Du stichst ziemlich heraus, wenn man weiß, wonach man kucken muss. Zum Glück wissen das nicht viele hier. Ich kenn nur noch einen anderen, und der ist ein guter Freund. Aber du kannst es auch sehen, nicht wahr? Sonst hättest du mich nicht so leicht gefunden.“ Pethen konnte den Mann immer noch nur anstarren, seine Feindseligkeit ließ jedoch zu Gunsten seiner Verwirrung nach.

„Wir wissen beide, dass es für uns hier gefährlich ist. Deshalb sollten wir uns heute Abend irgendwo anders treffen. Allerdings solltest du wissen, dass du einen ziemlich dicken Faden hinter dir herziehst. Du bist mit jemandem verbunden, wenn ich mich nicht irre. Du solltest den Faden kappen. Wer weiß, was sonst dabei herauskommt.“ Der Fremde blickte in die Richtung von Pethens Arbeitsplatz. „Ich bin heute Abend wieder hier. Dann können wir weiterreden. In Ordnung?“

Diesmal nickte Pethen. „Wie konntet ihr euch so schnell bewegen? Kann ich das auch lernen?“

„Magie“ Der Mann lachte. „Was denkst du denn? Aber ich bin mir nicht sicher, ob du es lernen kannst. Ich bin kein Lehrer und deine Magie ist sowieso anders. Ich hab‘s mal die zweite Magie genannt, sehr zum Ärger eines Freundes“, er schmunzelte bei der Erinnerung, während Pethen bei diesen Worten vor Erstaunen der die Augen übergingen. Er hatte auf einer alten Tafel einen Vermerk gelesen zu dieser zweiten Magie. Sein Meister hatte vermutet, dass dies seine Magie wäre, was der Fremde jetzt zu bestätigen schien. Aber der Eintrag war so alt gewesen, dass niemand auch nur ahnte, wer ihn geschrieben haben könnte. Wenn der Mann vor ihm nicht einfach nur log, dann …

„Aber an deiner Stelle würde ich jetzt zurück gehen. Sonst verlierst du noch deine Arbeit.“

Pethen nickte ein zweites Mal und drehte sich um. Er rannte ohne auf seine Umgebung zu achten, konnte aber trotzdem sehen, wie der Fremde erneut verschwand, ohne dass er die Bewegung hatte wahrnehmen können.

 

Hylei war nicht begeistert, als Ihr Weggefährte ihr auf ihrem Heimweg auflauerte. Wahrscheinlich war es ein Glück, dass sie nur eines ihrer Wurfhölzer bei sich trug. Hätte sie ihr Messer dabei gehabt, Pethen hätte ernsthaft verletzt werden können. Er wusste nicht, wo sie ihre anderen Waffen untergebracht hatte, nur von ihrem Speer kannte er das Versteck, denn er war dabei gewesen, als sie auf einen Baum vor der Stadt geklettert war, und ihn an einen hochgelegenen Ast gebunden hatte.

„Was machst du hier?“ Hylei hatte ihm mit ihrem Ellenbogen einen Schlag in den Magen versetzt. Anschließend war ihr Fuß gegen ihren Hacken gestoßen und sie hatte ihm einen kräftigen Stoß gegen seine Brust versetzt. Nun lag er auf dem Boden, sein ganzer Körper schmerzte und seine Arme waren von ihren Knien fixiert, während er gebannt auf das Wurfholz in ihrer erhobenen Hand starrte.

Er versuchte zu antworten, kriegte jedoch kaum Luft und konnte nur vor Schmerzen ächzen. Mit einer geschmeidigen Bewegung verschwand das Holz wieder an Hyleis Körper und sie erhob sich. Pethen blieb noch einen Augenblick lang liegen, stand dann aber mühsam auf, indem er sich zuerst auf die Seite rollte und langsam hochstemmte. Er hustete noch einmal, bevor er antwortete. „Da war ein Mann. Er wusste, was ich war … bin.“

Hylei sah ihn mit diesem Blick an, den sie immer für ihn erübrigte, wenn er etwas in ihren Augen ausgesprochen Dummes getan hatte. „Ich habe nichts gemacht. Er hat mich einfach gefunden.“

Er versuchte es ihr unter ihren kritischen Blicken zu erklären, was nie leicht für ihn war. Hinzu kam, dass es schwer war, ihr die Begegnung und seine Eindrücke zu vermitteln, ohne das Wort Magie zu verwenden oder irgendetwas, das einem zufälligen Lauscher einen Hinweis auf ihre Fähigkeiten geben mochte. Gleichzeitig durfte er auch nicht die magische Fortbewegung des Magiers erwähnen, wollte Hylei jedoch begreiflich machen, wie mächtig dieser Mann sein musste. Je länger es dauerte, desto unruhiger wurden sie beide, bis Hylei schließlich einlenkte.

„Ich komme auch heute Abend. Warte aber nicht auf mich. Ich werde mich versteckt halten. Und erwähn mich bloß nicht.“

„Hab dich ja jetzt auch nichts über dich gesagt. Und so, wie er sich ausgedrückt hat, weiß er noch nichts von dir.“

„Versuch ihn ins Freie zu bekommen. Dann werde ich sehen, ob ich ihn töten kann.“